renemar.ch
Geschichten auf den Versen
renemar.ch
Geschichten auf den Versen
Im Land Freythalis herrschte lange Frieden, bis rivalisierende Herrscher das Land spalteten. Während die Städte dort gedeihen, leidet die Insel Caveas unter dem tyrannischen Fürsten Iknorex, der das Vertrauen seines Volkes missbraucht und Frieden als Illusion darstellt. Der junge Wurm Dragius wird Zeuge dunkler Ereignisse und erfährt von einer düsteren Prophezeiung. Nach seiner Verschleppung und Flucht aus der Knechtschaft betritt er einen mystischen Wald, begleitet von seltsamen Geistern und weisen Gestalten. Schon bald trifft er einen geheimnisvollen Schwertkämpfer, der in einem verfallenen Kloster lebt, und auf den Widerstandsführer Draggen, der in einem Dorf lebt. Gemeinsam planen sie den Kampf gegen Iknorex. An einem einsamen Ort werden sie von seltsamen Wesen auf Geist und Kampf vorbereitet und bringen schließlich den Frieden zurück. Doch nach der letzten Schlacht begibt sich Dragius mit seinem Freund Felexes auf eine neue Reise durch ein mysteriöses Portal. Er trifft Schutzbegleiter, die ihm helfen, seine Familie wiederzufinden und sich neuen Herausforderungen zu stellen.
(Fantasy)
René March, 05.01.2024
Aktualisiert: 27.05.2025
Es ist spät am Abend, und in einer Halle findet eine Sitzung statt. Sentarius, der Höchste der Nachtgeister, spricht: „Was wollt Ihr hier in der Versammlung? Was ist Euer Begehren?“
Partegor: „Ich bin der Schreiber des Zirkels der Weisen und von Dragius.“
Sentarius: „Oh, wie interessant – und so reizend! Wahrlich, Euch gebührt großer Tribut. Ihr gebt Euch mutig und tapfer geschlagen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir uns auf der anderen Seite wiedersehen werden, und ich zolle Euch dafür Anerkennung.“
Die Türen der Halle fielen zu, und nur noch dumpfe Töne von den Gesprächen waren zu hören. Sentarius sprach: „Wohlan, Vormandor, gebt mir Kunde von Eurer Botschaft, die Ihr mir zu übergeben gedenkt…“
Nun fragst du dich vielleicht, was das für ein Gespräch ist? Es findet gerade eine Sitzung zwischen der Halle der Nachtgeister und dem Zirkel der Weisen statt, zu der nur geladene Gäste willkommen geheißen werden. Der Zirkel der Weisen steht unter dem Bann der Halle der Nachtgeister. So viel sei verraten: Der Zirkel hat Unheil zu befürchten. Diese Sitzung zeigt ein düsteres Theaterstück, dessen Ausgang längst feststeht. Aber die Geschichte wird noch offenbaren, worum es geht.
Die Türen der Halle öffneten sich einen Spalt. Sentarius sprach: „Danke, Vormandor. Die Absichten hinter Euren Aussagen sind nachvollziehbar. Es gibt keine weiteren Fragen.“ Er brabbelte: „Bei Dragius, sagen wir, es ist Syphilis oder Lepra – mögen Troll und Hexen ihn holen!“ Sentarius fuhr fort: „Die Sitzung wird nach Vollmond fortgesetzt. Ihr werdet die Gelegenheit haben, darüber nachzudenken, was wir für Euch entschieden haben. So oder so, Eure Schicksale sind besiegelt.“
Seine Worte waren düster, wie der Nebel, der aus der Tür emporkam. Der Zirkel der Weisen und Partegor verließen die Halle und verabschiedeten sich. Hinter ihnen schloss sich das Hallentor mit einem lauten Schlag und dem Mitternachtsgong.
Als Partegor sich auf den Heimweg begab und durch die dunklen Straßen der Stadt wanderte, fühlte er die Kälte, die ihn umgab und auf ihn lastete. Es war eine seltsame Nacht; der Nebel kroch durch die Gassen und hüllte die Stadt in ein gespenstisches Schweigen. Die Stille war erdrückend und ließ die Schatten der Vergangenheit lebendig werden. Plötzlich spürte er eine Präsenz vor sich. Aus dem Nebel tauchte eine düstere Gestalt auf.
Vielleicht war es ein Wolf oder ein Bär, ein Hüter oder Beschützer, doch mit scharfen Zähnen ausgestattet. Stimmen erklangen: „Der ist ja niedlich, ob man ihn wohl streicheln kann?“ Partegor konnte nichts zuordnen. Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare und überlegte, denn er wusste ebenso wenig, ob er ihn streicheln sollte. Hatte er schon gefressen? Das Wesen schlich um ihn herum.
„Guten Abend, Partegor, oder soll ich guten Morgen sagen, Schreiber...?“ Er kicherte finster wie ein Kobold.
Eine Turmuhr im Hintergrund schlug einmal.
„Ich bin Astareth. Nennt mich gefallener Engel, Dämon oder Geist. Ich habe einen eigenen Kodex. Ich bin auf Mission und bewahre die Gabe von Wissen und Weisheit. Wie geht es Euch nach der Halle der Nachtgeister? Ihre Entscheidungen sind so kalt wie die Dunkelheit dieser Nacht, nicht wahr?“
Partegor spürte die Schwere der Worte. Es war, als ob Astareth in seine Seele blickte. Er fuhr fort: „Ihr schreibt die Worte, die sie Euch diktieren, Ihr wollt handeln, doch haart aus wie ein Wolf, der an den Ketten einer Hütte gehalten wird. Aber was, wenn ich Euch sage, dass Ihr auch die Macht habt, die Wahrheit zu schreiben und den Zirkel der Weisen gerecht zu vertreten?“
Partegor erwiderte: „Ich habe keine Macht gegen die Nachtgeister. Die Entscheidungen wurden getroffen, bevor ich hierher kam.“ Aber Astareth kicherte, warf einen frechen Blick und sprach mit schelmischer Stimme: „Ah, mein Freund, das ist genau der Punkt. Ihr seid Teil des Spiels, und: Es ist nicht nur ein Komplott.“
Partegor antwortete: „Was meint Ihr? Was verlangt Ihr von mir?“
Astareth erwiderte: „Nur, dass Ihr Eure Fesseln abstreift. Ihr selbst könnt die Regeln ändern. Ihr müsst nur den Mut finden, es zu tun. Schreibt nicht nur das, was sie Euch sagen, sondern das, was geschieht. Ihr seid nicht nur ein Schreiber des Zirkels der Weisen, sondern auch der Schlüssel zur Offenbarung und Freiheit. Ihr werdet für Dragius, dem der Zirkel angehört, noch nützlich sein.“
Astareth tauchte wieder in den Nebel ein. „Handelt weise auch aus Eurem Interesse.“ So verschwand er, wie er gekommen war, mit einem Kichern. Auch Partegor ging nach Hause. Manche Leute im Dorf sprachen, Astareth sei ein Teufel, ein Verführer. Doch wer wollte den Teufel verteufeln oder austreiben? Diese Szene deutet auf den inneren Konflikt des Schreibers Partegor hin, der vor der Wahl stand, sich der Macht zu beugen oder sich selbst und dem Zirkel der Weisen treu zu bleiben. Seine Entscheidung, die er treffen würde und deren mögliche Konsequenzen, die er fürchten müsse, spiegelten sich in der nächtlichen Begegnung wider.
Im Morgengrauen kehrte Partegor gemeinsam mit dem Zirkel der Weisen zur Halle der Nachtgeister zurück. Ein Falke rief, und die Turmuhr schlug. Die Türen der Halle öffneten sich weit mit einem lauten Knarren. Sentarius saß mit einem breiten Grinsen vor dem Zirkel der Weisen, während Vormandor eine Handbewegung auf dem sauberen Tisch machte, als wäre er schmutzig und als wische er unsichtbare Krümel davon.
„Wohlan, Zirkel der Weisen, habt Ihr noch etwas zu verkünden?... Fürwahr, in Eurer Position wohl kaum“, sprach Sentarius. Ohne weitere Umschweife fuhr er fort: „Ihr habt gegen die Regeln von Caves verstoßen und damit sind wir befugt, Euch sämtliche Wohlgefälligkeiten zu entziehen. Euer Schicksal liegt fortan in unseren Händen, wie Ihr noch zu erfahren gedenkt.“
Die Halle der Nachtgeister schaute Partegor an, und er spürte das Gewicht ihrer Blicke auf sich lasten. Er wollte keinesfalls den Eindruck erwecken, sie herauszufordern. Stattdessen bemühte er sich, ihre Gunst zu gewinnen. Partegor griff nach einer Perle und einem Becher, bereit für das Hütchenspiel. Während er zu dem Zirkel der Weisen blickte, versteckte er die Perle hastig unter einem der Becher. „Ich kann zwar nichts mehr tun, aber seht, was ich kann!“, sagte er. „Neulich habe ich dieses Spiel bei Gaukler & Kohleher kurz mit meinen Augen erhascht.“
Eifrig begann er, die Becher hin und her zu schieben. „Jetzt werdet Ihr etwas erleben, passt gut auf! Ich werde Euch zeigen, wo…“ Doch er bewegte die Becher hektisch auf und ab, ohne zu wissen, unter welchem die Perle lag. „Hm, eben war sie doch noch… äh, hier ist sie nicht… da auch nicht… Na sag mal, also, sag mal. Ei, wo ist sie denn?“, murmelte er, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte. Verzweifelt bemühte er sich, den Zirkel der Weisen zu beeindrucken und aufzumuntern.
„Nein, himmlisch, Ihr seid zu gut!“, riefen die Nachtgeister mit tosendem Beifall. Der Hammer fiel und ein schallendes Gelächter hallte durch die Flure. Die Nachtgeister, von einem Sonnenstrahl hinter sich erleuchtet, sprachen: „Ihr seid wohl berechtigt, ein Recht zu begehren, so es denn dem Recht gefällig ist, Euch solches zu gewähren. Habt Euch wohl.“
Was die Halle der Nachtgeister sprach, war furchterregend. Partegor, dem Schreiber, lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er vergrub seine Hände in den Ärmeln seines Gewandes, hielt inne und murmelte zum Zirkel der Weisen: „Ich habe mein Bestes versucht.“ Doch er wusste, dass die Worte der Geister Macht hatten, und ein falsches Wort konnte ihm und dem Zirkel großen Schaden zufügen. In dieser dunklen Stunde war Vorsicht sein treuester Begleiter.
Stell dir vor, du gehst durch einen Wald, unachtsam und verträumt. Plötzlich siehst du Schlangen. Einige dieser Schlangen sind harmlos und schlängeln sich an dir vorbei, andere sind gefährlich; sie schlingen sich um dich, würgen oder beißen dich und hinterlassen schmerzhafte Wunden, die dich in Schwierigkeiten bringen können. Wie im Wald, so auch im Vorspann des Zirkels der Weisen und der Halle der Nachtgeister: Die Entscheidungen, die getroffen werden, können harmlos oder gefährlich sein. Die Geschichte, die ich heute erzähle, spiegelt diese Situation wider und zeigt, wie schnell die Grenzen zwischen Freund und Feind, Gut und Böse verschwimmen können. Inmitten der Verwirrung, in der manche Herausforderungen harmlos erscheinen, können andere unerwartet zuschlagen und dich unvorbereitet treffen. Es ist weise, wachsam zu sein und die Natur der Dinge um dich herum zu erkennen.
Einst gab es ein Land, das Freythalis hieß und in dem die Menschen in Frieden und Freiheit lebten. Doch das Land wurde von zwei Herrschern wie Inseln geteilt, die unterschiedlicher nicht sein konnten – so gegensätzlich wie Tag und Nacht. Diese Herrscher vertraten verschiedene Anschauungen über das bürgerliche Leben.
In Freythalis war das Volk für seinen Frieden und Wohlstand bekannt. Die Städte waren erfüllt von bunten Festen und Märkten. Der weise König von Freythalis, der den Frieden liebte, sagte oft: „Nur durch Vertrauen und Zusammenarbeit können wir die Dunkelheit überwinden.“
Im Gegensatz zur anderen Insel Caveas galt Freythalis als Paradies. Caveas war eine unbarmherzige Welt, in der Festungen das Leben bestimmten und die Überwachung der Seelen allgegenwärtig war. Es herrschten Dunkelheit und Intrigen. Nach außen hin schien das Leben geordnet und friedlich, doch hinter einem Schleier aus Täuschung und Verrat verbarg sich das wahre Zentrum der Macht. Hier herrschte der dunkle Fürst Iknorex, der den Glauben seines Volkes ausnutzte, um es zu kontrollieren. „Wir leben in Sorge und Elend. Frieden ist eine Illusion. Nur durch Kampf, Schild und Liebe zu allen können wir Freiheit und Wohlstand erlangen“, predigte Iknorex. Allerdings gab es zwischen Freythalis und Caveas auch ein Wettrennen. So war nicht immer klar, welche Insel fortschrittlicher war. Mal wurde Caveas als mittelalterlich beschrieben und mal übernahm Freythalis Dinge von Caveas.
Lange Zeit ahnten die Menschen in Caveas nicht, dass sie ihrer Freiheit beraubt worden waren. Erst mit der Zeit begriffen sie, dass sie betrogen worden waren. Sie sahen das Leben in Freythalis und sehnten sich schließlich nach Wandel und Freiheit. Sie fühlten sich wie in einem Käfig gefangen, doch der Wille zum Widerstand wich der Angst vor Verfolgung. Sentarius aus der Halle der Nachtgeister war ein Bote von Iknorex, der zusammen mit Vormandor für Recht und Ordnung sorgte. Ja, selbst Vormandor schürte Intrigen, die das Volk untereinander zum Misstrauen und Verrat aufrührten. Und Iknorex? Er hielt sich nie an seine Worte, brach die Regeln, die er dem Volk vorgab; so lebte er im Verborgenen in seinen Gemächern, einem Luxus, der dem von Freythalis glich.
In einer Welt, die durch die Mächte des Lichts und der Finsternis getrennt war, wurde Dragius auf der Insel Caveas geboren. Die Willkür und die ständigen Übergriffe der Boten von Iknorex schufen eine Welt unter dem Volk von Caveas, die einem schlafenden Vulkan glich – ein Leben, das von Misstrauen, Angst, Feindschaft und Freundschaft geprägt war.
Dragius‘ Mutter kümmerte sich um die Kinder und die Großmutter. Die Familie wünschte sich ein friedliches Leben. Doch die Halle der Nachtgeister war erbarmungslos. Nach dem Urteil der Nachtgeister war die friedliche Idylle zerstört. Dragius wurde verschleppt. Zuerst kam er auf ein Ödland einer abgelegenen Insel unweit von Caveas. Von dort an segelte Dragius im Auftrag von Vormandor wieder zwischen der Insel Caveas und dem Ödland. Er wurde an mehrere Knechtschaften verliehen, während sein Vater in Gefangenschaft geriet und auf die abgelegene Insel von Caveas kam.
Dragius‘ Sehnsucht nach dem Sonnenlicht und der vertrauten Stimme seiner Familie begleitete ihn, aber er wusste nicht, wo seine Familie und Geschwister waren oder ob sie noch lebten. Er blieb selten lange an einem Ort. Mal kam er nach Totenborg, mal nach Trughaven von Caveas. Auf seinen Reisen lernte er, sich mit seinen Gutsherren zu verbünden, doch es gelang ihm nicht immer. Jedes neue Gut brachte unerfüllte Erwartungen und Hoffnungen mit sich. Die Gutsherren erlegten ihm Härten auf, er begann seine Träume aufzugeben und um ihre Gunst zu werben. Allmählich schwand jedoch die Zuversicht, die einst seine Welt prägte. Die Knechtschaft trat an die Stelle seiner früheren Freiheit. Es gab eine Prophezeiung, die Dragius seit seiner Kindheit verfolgte:
Die Eltern, sie rufen, doch ihre Stimmen verhallen,
in der Dämmerung, wo die Nachtgeister prallen.
Doch das Dunkel wird in ihm verweilen,
sein Herz wird schwer, und die Seelen verweilen.
Und das Licht wird er niemals erkennen,
verbannt aus der Welt, in der Träume rennen.
Die Unschuld verweht wie Rauch in der Nacht,
wo in der Halle der Wächter die Dunkelheit wacht.
Zirkel der Weisen, die Eltern im Wind,
gebrochen die Träume, die einst blühten und glühn.
Ketten aus Dunkelheit halten die Seelen,
im Schatten gefangen, wo die Hoffnung verwehen.
In der Halle der Nachtwächter, wird befohlen,
dunkle Mächte umhüllen, die Wahrheit verloren.
Dragius wird einst das Dunkel durchschreiten,
wo finstere Geister in Flüstern bereiten.
Diese Worte bedrückten Dragius, denn er spürte, wie die Dunkelheit der Jahre der Knechtschaft in ihn eindrang. Aber Dragius hatte auch Verbündete, die ihm rieten, die Knechtschaft zu verlassen. Sie erklärten ihm, dass er zu Diensten herangezogen werde, die weder seinem Alter noch seiner Würde entsprächen. Zeitweise konnte er bei seinen Verbündeten wohnen und genoss die Freiheit bei ihnen. Doch lange konnte er nicht bei ihnen bleiben, denn die Nachtgeister und Iknorex waren ihm auf den Fersen. Dennoch, die Verbündeten gaben ihm die Kraft und die Mittel, den Aufbruch zu wagen, die Erinnerung an seine Familie begleitete ihn, und er flüsterte sich zu: ,,Eines Tages werde ich sie wiedersehen."
Dragius wurde ein junger, erwachsener Mann. Er hatte die Wahl: gehen oder bleiben, sich unterwerfen oder rebellieren. Ein warmes Dach über dem Kopf hatte er, aber keine Freiheit über seine eigene Persönlichkeit. In ihm brach ein Vulkan aus, der schon immer in ihm geschlummert hatte. Er stellte alles in Frage. Im Gegensatz zu Tieren, die in Gefangenschaft oder in der Obhut von Besitzenden sind und nicht wissen, wohin sie gehen würden, wenn sie frei wären, wurde er durch die Worte seiner Verbündeten motiviert.
Es war ein seltsamer Tag. Dragius erhielt ein mehrdeutiges Ultimatum von seiner Knechtschaft und so wagte er den Aufbruch, den er sich bis dahin nur überlegt hatte. Denn er hatte nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen, außer einer Last, die er sich selbst aufbürden musste. Außerdem erkannte er, dass die Welt größer ist und mehr Lebensräume birgt als ein Aquarium oder das Meer. Und bevor er wie der Fisch gefressen wird, dachte er an Flügel, die ihm die Freiheit zum Entkommen bringen würden.
Inmitten der Nacht brach Dragius auf. Er nahm die Dinge mit, die ihm einst seine Knechtschaft schenkte, wieder nahm und sich zu eigen machte, um ihre Macht zu demonstrieren. Den Schachzug, den er jetzt unternahm, betrachtete er nicht als Zurückeroberung, sondern als Beutezug. In diesem Augenblick fühlte er sich wie ein Pirat. Doch andere Sachen musste er zurücklassen, denn er hätte jene Räume betreten müssen, in denen die Knechtschaft wohnte und schlief.
Der Vollmond schien und es war neblig, als Dragius die Straße betrat. Der Regen peitschte gegen die Hauswände und trommelte auf die Dächer. Durchnässt strich Dragius sich das Wasser aus den Haaren und wischte sich die Tropfen aus den Augen, wodurch die Straßen um ihn herum verschwommener wirkten. Ein paar Autos rollten über die nasse Straße. Er hörte das Platschen der Autoreifen, wenn sie durch die Pfützen glitten. Der Wind pfiff um die Häuser, heulte durch die schmalen, dunklen Gassen und brachte eine durchdringende Kälte mit sich, die jede Faser seiner Kleidung durchdrang. Es war eine Szenerie, die Dragius sonst nur vom Zeltlager und von Lagerfeuergeschichten aus Hanebüchen kannte.
In den Nächten, wenn der Vollmond scheint und die Schatten sich über die Straßen legen, erheben sich die Drachen aus ihrem alten Schlummer. Nicht die großen Bestien aus den Märchen, sondern die Schattenwesen, die in den Rissen der Realität hausen. Sie sind die Augen und Ohren einer alten Macht, die beobachten und warten. Es heißt, man sei nur einen Schritt entfernt von der Dunkelheit, die die Drachen mit sich bringen. Diese Wesen sind die Vorboten einer längst vergangenen Zeit, einer Zeit, die zurückkehren könnte, wenn der Schleier zwischen den Welten dünn genug wird. Ihr Erscheinen erinnert daran, dass niemand alleine ist.
Der Weg durch die Stadt, der sonst nur einen Katzensprung entfernt war, schien mit einmal endlos. Nun offenbarte sich für Dragius eine Nacht, in der es Gestalten gab, an die niemand glaubte, die aber dennoch existierten.
Dragius ging an einer Schmiede vorbei. Vor der Schmiede hing ein hölzerner Pferdekopf. Während in der Schmiede die Hämmer auf das glühende Metall donnerten und Funken in die Dunkelheit sprühten, dachte Dragius, der Schmied kämpfe gegen einen fauchenden Drachen. Plötzlich ertönte die Stimme des Pferdekopfes: „Ein Pferd ist wie ein Chamäleon – mal ein Engel, mal ein Drache. Während andere noch darüber philosophieren, wie man einem vom Pferd erzählt, habe ich längst einen Pferdeapfel probiert. Wer ist hier wohl der Verrückte?“ Der Pferdekopf wieherte. ,,Wusstet Ihr, dass man von beiden Seiten des Pferdes fallen kann? Pferde haben ein sechstes Gefühl. Sie merken genau, wann jemand die Kontrolle verloren hat. Ich selbst reite übrigens nicht wirklich – ich versuche nur, nicht herunterzufallen!" Der Kopf wieherte ein letztes Mal.
Das Hämmern hörte auf, und das Licht in der Schmiede erlosch. Gespenstig, so seltsam wie die Nacht, schüttelte Dragius den Kopf und ging weiter. Als er weiter ging, hörte er im Hintergrund Pferde über das nasse Kopfsteinpflaster galoppieren. Dragius sah zurück; im Nebel verschwand eine Kutsche. Er hörte Menschen, die sich etwas erzählten, sie sangen und lachten, während alles im Nebel verschwand. Die Stimmen wurden leiser und die Turmuhr schlug zweimal. Langsam wurde alles wieder ruhig. Nur ein Uhu gab noch ein paar Rufe von sich, bis auch diese durch sein Flattern verschwanden.
Die Turmuhr läutete. Vor der Kirche standen vermummte fellartige Wesen mit Hörnern, sie trugen rotweiße Gewänder. Ihre Augen funkelten in bunten Farben, aber ihre Form war düster. Die Wesen erzählten sich was. Die Worte wirkten verschlüsselt, vielleicht sprachen sie Kauderwelsch'isch, oder es handelte sich um Zaubersprüche. Dragius hatte es schwer, denn er war neugierig und wollte wissen, was sie sprachen. Gerade wenn es wirklich Kauderwelsch war, hätte er die Wesen fragen müssen, denn es ist eine noch junge und unerforschte Sprache, für die es keine einheitliche Übersetzung gibt, sodass sie nur von jenen übersetzt werden kann, die diese Sprache beherrschen. Und dennoch klangen ihre Worte weise; es schienen die Lehren des sagenumwobenen Meisters Lorem Ipsum zu sein, der auch aus Büchern bekannt ist, in denen er leere Passagen füllt. Wer diese Wesen waren, ist unbekannt, vielleicht waren es Wölfe oder Ziegenböcke. Doch sie lösten sich in Rauch auf, als Dragius sich ihnen näherte, und tauchten wieder auf, als er verschwand.
Wo Nebel tanzen, dicht und licht,
Die Gassen schlingen, finster, schmal,
Umhüllt von Schatten, überall.
Die alten Häuser, schaurig, grau,
Hüten Geheimnisse, still und schlau.
Hier ringen Seelen, Licht und Nacht,
Wo jeder Schritt ein Rätsel macht.
Dragius, der Meister dunkler Macht,
Durchstreift die Straßen, stets bedacht.
Sein Blick, so tief, ein Spiegelbild,
Von Zwiespalt, der die Seele stillt.
Ein Wesen, feurig, schwebt empor,
Seine Flügel glühen, strahlen vor.
Er sucht den Einklang, Licht und Schatten,
In dunklen Ecken, wo sie raten.
Die Gassen voll von Kapuzenwesen,
Die in der Dunkelheit sich lesen.
Sie schauen zu, mit heißem Herz,
Erwarten Kampf, und voller Schmerz.
„Ihr denkt, das Licht sei nur die Wahl,
Die Dunkelheit, ein Feind, einmal.
Doch wahres Wissen, so versteckt,
Findet, wer durch Finsternis entdeckt.“
Dragius spricht mit ruhiger Stimm‘,
„Es gibt kein Sieg, kein Untergang,
Nur das Verstehen, das uns vereint,
Wenn Licht und Schatten sich vereint.“
Der Nebel lichtet sich, ganz sacht,
Die Schatten weichen, Finsternacht.
Caveas ruht in stiller Pracht,
Tag und Nacht, sie sind voll Macht.
In seiner Hand die Kerze klein,
Die Flamme strahlt, so sanft, so rein.
Sie symbolisiert das Licht der Zeit,
Das durch die Dunkelheit uns leiht.
So wandelt er, in stiller Ruh‘,
Und zeigt den Seelen, was sie tun.
In Caveas, wo das Spiel beginnt,
Wo Licht und Schatten Eins sind.
Als Dragius am Stadtrand stand, sah er den Wald. Für ihn ist das nichts Besonderes, denn er war schon oft im Wald. Es gibt Legenden über ihn, die besagen, dass er als Kind zu tief im Wald war. Plötzlich sah Dragius einen Luchs am Waldrand stehen, der ihn beobachtete. Der Luchs bemerkte, dass seine Anwesenheit wahrgenommen worden war, und verschwand wieder im Wald. Kurz darauf tauchte er wieder auf und gab Laute von sich, sie klangen wie: ,,Folge mir, lauf!", dann rannte er erneut in den Wald. Es schien, als würde der Luchs Dragius auffordern, ihm zu folgen. Also betrat er das magische Reich des Waldes, umgeben von Mammutbäumen, die wie stille Wächter den Eingang zur Festung säumten. Doch der Wald, der Dragius willkommen geheißen hatte, war nun von etwas Unheilvollem durchdrungen. Die Bäume standen dicht gedrängt wie drohende Wächter, ihre Äste verflochten sich über ihm zu einem undurchdringlichen Schattendach. Mit jedem Schritt tauchte er tiefer in die Finsternis ein, die sich wie eine lebendige Masse um ihn zusammenzog, als atme der Wald selbst und wolle ihn in sein dunkles Herz ziehen.
Ein kalter Wind heulte durch die Bäume, und mit ihm ein vielstimmiger Schrei. Die Tiere des Waldes waren in Aufruhr. Schrille Rufe der Vögel hallten durch die dichte Luft, als warnten sie sich gegenseitig vor etwas Unsichtbarem. Das Unterholz raschelte unruhig, und das Knarzten der Bäume klang wie Schritte, die ihm folgten. Der Wald, der einst ein Hort der Ruhe gewesen war, pulsierte nun mit einer unheimlichen Energie, einem Chaos, das an seinen Nerven zerrte.
Aus dem Nebel trat ein dunkler Schatten hervor. Er wirkte wie ein schattenhafter Vorbote. Seine Schritte waren still, und dennoch schien der Boden zu beben. Die Augen funkelten wie Glut in der Finsternis. Mit ruhiger, aber erhabener Stimme sprach er: ,,Na, Dragius, so spät noch unterwegs? Hier entlang. Nicht stehen bleiben, sonst verirrt Ihr Euch.“ Dragius zögerte, aber die Schattenstimme trieb ihn voran, obwohl er nicht sicher war, wohin der Weg ihn führen würde. Der Pfad vor ihm war schmal, schlängelte sich durch dichtes Unterholz, und die Dunkelheit schien ihn zu verschlingen. Der Boden unter seinen Füßen fühlte sich immer weicher an, fast hohl, als ginge er über eine verborgene Tiefe. Die Gestalt glitt noch lange lautlos neben ihm her, bis Dragius eine Lichtung sah und der Schatten in den ersten Sonnenstrahlen verschwand.
Dragius verließ den dunklen Wald. Inzwischen war es hell geworden. Er sah eine Straße, die aus Sand und Kies bestand. Raben flogen auf und ab entlang des Weges. Hinter der Waldstraße begann ein neuer Wald. Dragius überlegte, welchen Weg er nehmen sollte – aber er hatte keine Wahl. Eine unbekannte Macht zog ihn weiter.
In diesem neuen Wald standen Bäume, die aussahen, als hätten Wölfe dort ihr Revier markiert. Dragius dachte: Manchmal bin ich der Baum, manchmal der Hund. Er wusste: Es gibt gute und schlechte Tage.
Zwei Raben saßen auf alten, kahlen Bäumen. Sie waren aufgeplustert und schauten finster. „Hey, ist das nicht Dragius?“ fragte der eine Rabe den anderen, buffte ihn an und zeigte mit dem Flügel auf Dragius. „Ja“, sagte der andere. „Und seht, wie vollgepackt er ist – wie eine Elster.“ Die beiden krächzen. „Sicher, der will verreisen“, sagte der erste Rabe. „Da hat er sein Päckchen zu tragen!“, sprach der andere.
Dragius sah zu den Raben, die jetzt beide in verschiedene Richtungen schauten. Noch ehe er etwas erwidern konnte, brachen die Äste unter den Vögeln. Verdutzt und kreischend fielen die Raben samt Ästen herunter, konnten sich jedoch in der Luft wieder fangen und flogen davon. „Herrlich, diese Freiheit!“, rief der eine. „Ja, federleicht!“, krächzte der andere.
Es dauerte nicht lange, da kam Dragius auf eine Waldwiese. Dort stand ein einzelner immergrüner Baum, weit entfernt von den anderen. Er sah nicht aus wie ein Baum, den man so kennt: Seine Äste wirkten wie Leitern, und seine Krone glich einer kleinen Villa mit Gartenzaun. Während andere Bäume still im Boden standen, von Laub umringt, stand dieser Baum trotzig in Beton und Asphalt. Seine Wurzeln jedoch durchbrachen überall das harte Gestein. Um ihn herum lagen moosbedeckte Mauerreste. Ein „Lost Place“ – ein verlassener Ort. Genau hier hatte einst eine stolze Burg gestanden. Dragius erinnerte sich an die alten Erzählungen: In der Nähe war früher Erz abgebaut worden. Es war ein florierender Handelsplatz gewesen – bis Kriege und Überfälle die Menschen vertrieben. Die Burg verfiel. Manche sagen, die Steine der Burg seien abgetragen und zum Bau eines Märchenschlosses verwendet worden. Andere behaupten, ein Berggeist habe den Menschen nur so viel Erz gegeben, wie sie verarbeiten konnten, bis sie schließlich aufgaben. Wie auch immer – viele erzählen, dass am Fluss ein Kobold Wache hält. „Dein Schatz da, ist gleich mein Schatz hier!“, rief plötzlich ein Kobold Dragius zu, kicherte und verschwand ebenso schnell, wie er aufgetaucht war.
Der Baum beobachtete Dragius und warf ihm einen Apfel zu. Dragius näherte sich vorsichtig. „Schaut mich an", sprach der Baum. ,,Hunde kommen und gehen. Einige pinkeln, andere buddeln – und doch bleibe ich stehen. Seht die anderen Bäume: Manche wanken, manche verlieren Äste, manche trauern. Bleiben sie stehen, weil die Erde sie hält? Oder hoffen sie auf ein Wunder, obwohl sie längst abgestorben sind?“
Die alten, morschen Bäume sangen ein Klagelied:
In kalten Kronen rauscht die Angst,
Verlust ist’s, der an Zweigen tanzt.
Fest klammert sich die morsche Hand,
wie Koboldklauen, angstgebannt.
Wer Schätze zählt, der zählt auch Pein,
wer viel besitzt, bleibt selten klein.
Und hält – und hält – bis Äste brechen,
will Wandel nur mit Krallen sprechen.
Doch Würfel rollen, wild und schwer,
heut bist du Baum, morgen Verkehr.
Die Säge summt, das Schicksal fällt –
kein Bein, ein Schnitt durch deine Welt.
So bleibt uns nur ein müdes Lachen,
ein Tunnelblick durch dunkle Sachen.
Ein Amen auf den alten Wahn –
und klappert leis der kalte Zahn.
Zwischen den bemoosten Baumriesen wuselte ein halbes Bataillon Biber umher – allerdings keine gewöhnlichen. Diese hier trugen kleine gelbe Helme, winzige Werkzeuggürtel, Zollstöcke, Notizblöcke und Funkgeräte. Einer der Biber klappte seinen Zollstock auf, legte ihn an einen Stamm und nickte zufrieden. Dann rollte er einen Lageplan aus: „Das ist der Schlachtplan, hier greifen wir an“, und tippte mit der Kralle auf die Skizze. „Aber Boss, wir fällen doch nur Bäume!“, sagte ein anderer.
„Stimmt“, erwiderte der Boss trocken. Ein dritter Biber stammelte vor sich hin: „Anscheinend hatte der mal einen anderen Job… irgendwo im Nirgendwo.“ Aber in den Zeiten, in denen Iknorex herrschte, war es besser, sich nicht mit diesem Thema zu befassen, denn das Unglück konnte jeden treffen.
Ein Biber klopfte mit seinem Biberschwanz gegen das Holz. Dumpfes, hohles Geräusch. „Chef! Der klingt wie ’ne hohle Nuss!“, rief er und grinste. Ein weiterer Biber kritzelte eifrig in sein Notizbuch: „Saftigkeit: 4 von 10. Empfehlung: Erst klopfen, dann knabbern oder im Mondschein betrachten.“ Währenddessen rechneten die anderen bereits Windrichtung und Fallgeschwindigkeit aus und markierten Sicherheitszonen. „So!“, brummte der Boss, „der Baum fällt sauber nach Nordnordost. Maximal 15 Grad Abweichung! Sonst platscht er in den Fluss – und dann haben wir Theater mit den Amphibien! Verstanden?!“ Alle nickten eifrig. Niemand bemerkte, dass die Bäume längst von selbst fielen. Nur ein fauliger Geschmack blieb zurück.
Auf einem staubigen Waldweg standen ein Ackergaul und ein Rind. Das Rind hatte rotbraunes und zerzaustes Fell. Es kaute entspannt auf einem Grashalm herum. Sein Blick sprach Bände: Fünf Weltuntergänge gesehen, keiner beeindruckend. Der Gaul dagegen scharrte nervös. „Dramatik gibt’s bei der Feuerwehr. Wir ziehen Baumstämme. Entspannt Euch“, rief das Rind. Während der Gaul galoppierte, lehnte sich das Rind mit gelassen zurück.
Als endlich der Ruf der Biber kam, spannten sich die Seile. Doch alles sollte anders kommen. Ein Ruck! Gaul und Rind flogen nach vorne, als hätte jemand heimlich die Gravitation abgeschaltet. Das Rind stolperte, schlug mit einem satten Patsch auf den Waldboden und blieb liegen. Dann rappelte es sich auf, ein Grashalm hing ihm quer über die Nase. „Na toll. Ein super Arbeitstag... Fehlt nur noch ein Regenguss und ein Platten am Karren. Ich bin zu alt für sowas...“. Der Gaul hingegen wieherte begeistert: „Juhu! Das war ein perfekter Start! Wenn wir so weitermachen, sind wir heute noch im Guinness-Buch der Baumtransporte! Yeah, ich zerleg’ die Ladung schon beim Ziehen. Ich bin nicht nur stark, sondern eine Naturgewalt! Die Bäume brechen schneller auseinander, als ich auf meinen alten Hufen liege, und das will was heißen.” Der Gaul wieherte. ,,Da reiße ich mir wie ein Waldmeister den Hintern auf, und was machen die Bäume? Machen einfach einen Abgang, noch bevor ich richtig loslege. Also ehrlich, ich hätte auch Zahnstocher ziehen können. Zieh wie ein Ochse, ziehe wie ein Held, sagen sie. Und was ziehe ich? Das ist wie Sägemehl auf Urlaub!” Wieder wieherte der Gaul.
Sowohl der Baum als auch Dragius runzelten die Stirn und zogen die Augenbrauen in die Höhe. „Hey, Dragius“, sprach der Baum, während er sich mit viel Krach und Knarzen zu ihm vorbeugte. Es klang wie wildes Blätterrauschen, bewegt durch den Wind – und wie jemand, der eine viel zu enge Lederjacke trägt. „Ich bin nicht nur ein Baum mit Markierungen, eingeritzten Namen oder Höhlen für Zwerge und Tiere, mein Freund. Ich bin mehr als nur Rinde. Ich bin ein Baum mit Photosynthese und Wumms. Schaut, meine Krone ist aus Gold, meine Wurzeln sind wie Stahl. Ich schlage sie durch Asphalt und Beton. Wollt Ihr ein Baum bleiben oder der Hund sein?“, fragte er mit rauchiger Stimme. „Oder sagt Ihr Euch: Ich schnitz mir mein eigenes Stöckchen und guck, wer’s mir zurückbringt?“, fügte er mit ernster Stimme hinzu.
Oben in der Baumkrone saß eine Eule, offensichtlich die Herrscherin dieser Terrasse. Mit einem empörten Quieken flatterte sie zum Baum herunter, der sie peinlich berührt ansah. Die Eule stemmte die Flügel in die Seiten und begann, den Baum aufgebracht anzupöbeln: „Na, Ihr Zauberbaum! Was soll denn das schon wieder?! Kaum dreht man sich mal um, wollt Ihr gleich umkippen. Gerade eben war ich noch dabei, die Terrasse zu fegen“ – sie zeigte auf ihren Reisigbesen –, „als plötzlich das ganze Haus unter mir zu wanken begann. Ich hab hier frische Wäsche hängen! Jetzt muss ich alles nochmal waschen.“ Der Baum knarzte entschuldigend im Wind, aber das interessierte die Eule nicht. Jetzt drehte sie erst richtig auf, tippte mit ihrem Flügel energisch gegen den Stamm: „Und das nach all den Jahren! Ich habe hier neue Nester angelegt, und Ihr wollt Euch einfach aus dem Staub machen? Über meine frischgeputzten Zweige!“
Derweil setzte sich Dragius vergnügt auf die mit Moos bedeckten Mauerreste und beobachtete amüsiert das Geschehen.
„Ihr habt Wurzeln und steht in voller Blüte. Also bleibt gefälligst stehen!“, schimpfte die Eule und flog zurück auf ihre Terrasse.
Dragius blickte auf den Boden und sah Löwenzahn wachsen. „Ihr seid ein faszinierender Baum“, sagte er, „ein Baum mit Meinung und Sinn für Ironie.“ Doch der Baum schwieg. „Ich bin geflüchtet in die Freiheit und suche mein Glück – im Kampf gegen Iknorex“, ergänzte Dragius.
Die Biber, die das Gespräch zwischen Dragius und dem immergrünen Baum beobachtet hatten, wurden neugierig. Ein Biber rannte zu ihnen hin. Er klopfte gegen den Baum, lauschte auf das saftige Geräusch. Mit leuchtenden Augen zauberte er Messer und Gabel hervor und bereitete sich auf ein imaginäres Festmahl vor. Der Baum kicherte: „Heehehe! Aufhören! Das kitzelt!“ Mit einem kräftigen Schütteln schleuderte er den Biber zurück zu seiner Gruppe, wo Zollstöcke und Pläne nur so durch die Luft flogen. „Ach, schon wieder der Gourmettester...“, schmatzte ein Biber gleichgültig, der gerade den Lageplan verspeiste.
Dragius und der Baum lachten, die Eule schüttelte den Kopf. ,,Seid wie ein immergrüner Baum, der seine Kräfte entdeckt und – ja, sagen wir mal ...“ (Es schien, als würde sich der Baum seine Äste zurechtschneiden.) „... außergewöhnliche Quellen zum Wiederbeleben benutzt. Lasst die Äste zurückschlagen“, sprach der Baum – lustig, aber zugleich mit einer philosophischen Ader. Der Baum lachte, streckte sich wieder in die Höhe, ein paar Blätter fielen dabei herab – während sich gleichzeitig neue bildeten. ,,Also ist es zu fassen”, rief die Eule erneut.
Für einen kurzen Augenblick war es still, dann ein leises Schmatzen und Schnüffeln. Irgendetwas schabte im Inneren des Baumes. Dragius sah genauer hin. Ein Stinktier, dachte er. Doch es war ein Dachs mit feuchter Schnauze und verklebtem Maul. Langsam schob er seine Schnauze aus der Baumhöhle, schleckte noch einmal über sein Maul und betrachtete Dragius. Er wirkte zufrieden, als hätte er gerade den Nachtisch seines Lebens genossen.
„Ah… der da draußen philosophiert mal wieder lautstark, was?“ Er schnupperte in Dragius' Richtung und verzog sein Gesicht. „Ihr riecht nach Aufbruch. Nach Fragen. Nach … Selbstfindung. Die Angst, etwas zu verlieren – Status, Sicherheit und Kontrolle, – ist vermutlich einer der größten Antreiber.” Der Baum antwortete: ,,Dragius findet seinen Weg.” Für eine kurze Zeit trat wieder Stille ein. Der Dachs begab sich wieder in die Baumhöhle zurück und sprach: „Weckt mich, wenn Ihr wieder über Sinn und Unsinn redet. Ich habe noch Honig, und das Fernsehen bietet außer Röhren und Grunzen nichts Neues.
Mit einem Schlag war alles wieder wie am Anfang, als hätte Dragius den Wald gerade erst betreten. Aber er lag eindeutig im Gras. Hatte er nur geträumt? War er im Wald eingeschlafen? Er stand auf und musterte den Baum. Schweigend und lächelnd stand der immergrüne Baum da, wie ein Meister, ein alter Baumgeist, eine Symbolfigur – ein Held wider Willen, der nicht flieht, sondern da steht, wächst und seine Kräfte verwendet – und im richtigen Moment zurückgibt, was ihm über Jahre verpasst wurde.
Ein Waldkauz, der geschickt getarnt in einer Baumritze saß, rief leise.: „Nur Ruh, nur zu, nur Mut.“ Und so ging Dragius weiter. Ein Graureiher flog über ihn hinweg und rief: „Mit Rast, ohne Hast und Ballast." Es klang wie eine Botschaft, ja fast wie ein Telegramm.
In einem Zauberwald, wo die Zeit im Nebel steht,
wo Falken rufen, die Stille vom Morgen durchweht,
liegt verborgen eine Ruine, karg und weit,
Fenster zersprungen, Mauern zum Himmel bereit.
Meister Svardor des Schwerts, im Kloster nun allein,
lebt zwischen den Steinen, wo Schatten gedeih’n.
Er schützt, was verborgen, was tief im Wald ruht,
und kämpft ohne Zögern, mit stählerner Glut.
In der Nacht kehrt er heim, der Mond weist den Pfad,
durch Nebel und Dunkel, in Stille, die naht.
Die Mauern verfallen, doch er bleibt bestehen,
solange der Zauber das Kloster umwehen.
Vor dem Kloster, die Brücke, aus festem Gestein,
führt über den Fluss, kalt, glitzernd und rein.
Die Wasser sind still, doch sie spiegeln das Licht,
das den Weg markiert, wo Schatten zerbricht.
Das Rauschen des Flusses, ein nüchterner Klang,
hallt zwischen den Bäumen, ein endloser Drang.
Dragius tritt vor, ein Knirschen im Stein,
die Falken kreisen, ihr Rufen so rein.
Im Wind ein Rascheln, die Bäume verstehn,
es gibt keinen Rückweg, nur vorwärts zu gehn.
Durch Dickicht und Wurzeln führt sein kalter Pfad,
kein Raum für Zweifel, kein Halt, der ihn naht.
Svardor erhebt sich aus dem Fluss, tief und schwer,
die Falken begleiten, ihr Flug schneidend und leer.
Der Geruch von Moos, die Luft feucht und kalt,
umschließt ihn wie Schatten im endlosen Wald.
Nachdenklich, aber doch amüsiert über das Geschehene setzte Dragius seinen Weg fort. Plötzlich erhob sich vor ihm eine verlassene Klosterruine, einst eine mächtige Festung, deren Mauern inzwischen von den Wurzeln der Bäume umschlungen waren. In Caveas gibt es zahlreiche Klöster, die schon seit dem Beginn der Zeitrechnung existieren. Doch Iknorex lächelte müde. Sein Glaube bestand in der Herrschaft, und so zwang er alle, seinen Glauben zu vertreten. Selbst Dragius hatte einen Glauben, der einem Volksglauben voller Sagen und Mythen glich. Er kannte Kirchen und Klöster, hatte sie aber nie betreten, weil viele sagten, Teufel und Hexen hätten darin nichts verloren. So fürchtete Dragius, diese Hallen zu betreten, in dem Glauben, dass es donnern und blitzen könnte, wenn er diese Gemäuer betreten würde. Dieses Kloster war aber anders. Es war ein verlassener Ort, ein Gebäude, das du vielleicht als Geisterhaus, Lost oder Abandoned Place kennst. Das Kloster, das Dragius nun betreten wollte, sollte eine andere Bedeutung haben, als er es sich vorstellte.
Flügelschläge klingen, wie ein mächtiger Schlag,
der Weg ist bestimmt, keine Wahl, keine Frag’.
Im Einklang mit Stille, die Schärfe im Blick,
setzt er seinen Schritt fort, der führt ins Geschick.
Die Wasserquellen plätschern Töne, wie eine Melodie,
während die Blumen und Büsche duften, in Harmonie.
Die Pfade im Zauberwald sind von Moos weich, grün,
die kühle Berührung der Blätter, wie ein sanftes Gefühl.
Portale aus Licht öffnen sich, sie sind strahlend und klar,
senden magische Wellen, wie wunderbar.
Svardor ruft laut, Stimme, die Dragius weckt:
„Denke an Schlachten und Kämpfe.
Denke daran, wie du warst, wer dir half.“
Jeder Schritt durch den Wald, ist ein Abenteuer so tief,
wo die Legende lebt und die Zeit in Stille schlief.
Svardor wacht über das Kloster und den Fluss.
Die Falken fliegen kreisend, Wald wiegt im Frieden.
So entfaltet sich der Zauber in jedem Augenblick,
wo die Sinne erwachen und der magische Moment beginnt.
Die Falken kreisen um ihn her, wie ein mächtiger Hall,
ihr Rufen erfüllt den Himmel im All.
Mit Flügeln so stark und voller Kraft,
sind sie Symbol, das die Freiheit erschafft.
Svardor und die Falken tragen die Botschaft von Freiheit,
dass sie in jedem Herzen präsent ist.
Die Falken begleiten ihn auf jedem Weg.
Dragius, liebt die Freiheit, die er hegt und pflegt.
So schreitet er weiter durch Wälder und Seen,
während Svardor mit Falken über ihn hinwegzieht.
Die Freiheit ist sein Begleiter, die Falken sein Lied,
und der Zauberwald lauscht, wie Svardor in Weite zieht.
Dragius betrat das Kloster. Hohe Räume, weite Hallen – ruhig und kühl – erwarteten ihn. Im Hintergrund hörte er das Ticken einer Uhr und einen Gong – das Vergehen der Zeit. Ein vertrautes Gefühl für ihn. Schon als Kind spielte er mit Sanduhren und beobachtete, wie der Sand verrinnt. Das Aushalten der Zeit und das Ticken hatte er bei seiner Oma gelernt, dabei ist er keineswegs ein stiller Zeitgenosse. Doch sobald etwas tickt oder tropfelt, sei es ein Wasserhahn oder der Regen auf der Fensterbank, hält er inne. Eine tiefe Stimme hallte durch die Gänge der Klosterruine, sie klang wie ein Echo:
Die Zeit, sie dreht sich und schafft wie eine Macht,
sie nimmt und sie gibt, sie ist die eine Kraft.
Ohne Zeit gibt es weder Sinn noch Tat,
nur ein ständiges Sein, ohne Sinn und ohne Tat.
Vorstellen oder Zurückdrehen, verbiegt und versiegt.
Während Dragius sich weiter umsah, hörte er Kinderstimmen oder waren es die von Kobolden? Sie spielten Verstecken, doch wohin Dragius auch ging, sie verschwanden immer, wie Geister. Und manchmal spürte er einen Griff oder einen Luftzug, als würden sie ihn einladen, mit ihnen zu spielen, doch niemand war zu sehen. Vielleicht waren es Kinder, die die Halle der Nachtgeister unter Arrest und Beobachtung stellten. Er erinnerte sich, denn auch sie wurden verbannt. Die Knechtschaft hatte Dragius immer gesagt, sich einen Platz bei den Kindern zu suchen, und wenn seine Knechtschaft nicht da war, dann machte er es auch. Er ging weiter und betrachtete die Räume. Die Wände waren mit Strichen bemalt, teils zerstört. Löcher klafften, aus denen Sand quoll und ihre Geschichten erzählten. Überall lag der Geruch von alten Balken und Lehm in der Luft. Zwischendurch sah er immer wieder ein altes Klavier mit kaputten Tasten, an dem er als Kind gespielt hatte. Aber die Knechtschaft hatte ihm verboten, darauf zu spielen. Denn es war das Klavier der Halle der Nachtgeister, die sie herbeirufen würden.
Die Räume luden Dragius zum Verweilen ein – bis die Zeit sich wandelte. Plötzlich öffnete sich eine Tür, die laut knarzte und quietschte. Der Raum war dunkel. „Guten Tag, Dragius“, sagte jemand aus der Dunkelheit. Langsam erhellte sich das Licht im Raum. Es war der Schwertkämpfer Svardor – nicht älter als Dragius. Seine Kleidung verschmolz mit der Nacht und ließ nicht erkennen, ob er groß oder klein war. Um seinen Irokesen-Haarschnitt war ein Kopftuch in grüner und schwarzer Tarnfarbe kunstvoll zum Stirnband gebunden. Seine eisblauen Augen umrahmten grüne Pupillen.
„Ich habe Euch erwartet, der Waldgeist hat mir eure Ankunft verkündet“, sprach Svardor. Während er erzählte, beobachtete Dragius zwei Waldkäuze. Sie traten näher heran und wieder zurück, wirkten neugierig und verspielt. Ihre Köpfe bewegten sich mal nach oben, mal nach vorne zu Dragius, mal zur Seite und dann nach hinten. Anschließend schauten sie sich an und wiederholten das Szenario – es schien, als würden sie einen Tanz aufführen.
,,Ich bin der Hüter von Licht und Schatten, einst in Kämpfe verwickelt und heute in Freiheit lebend, sprach Svardor. Er war ein Krieger der Zeit und bewegte sich wie ein Uhrwerk. Er erhob sein Schwert, dessen goldverzierter Griff und die mit Diamanten besetzte Edelstahlklinge das Licht der Umgebung reflektierten, und kämpfte gegen den Wind.
„Den Waldgeist seht Ihr nicht, weil er seine Gestalt wechselt: mal Wolf, mal Fuchs, mal Bär“, sagte Svardor.
Dragius fragte Svardor, ich hörte eben einen Spruch, es ging um die Zeit was meint das?" Svardor lächelte und sagte: ,,Ja, es war vermutlich der Waldgeist, der überall ist."
Wieder nahm er sein Schwert und kämpfte mit der Luft und erzählte: „Die Zeit, sie dreht sich und schafft wie eine Macht, sie nimmt und sie gibt, sie ist die eine Kraft. Es bedeutet, dass die Zeit alles bestimmt, sie ist eine unaufhaltsame Macht. Sie gibt Euch Gelegenheiten, nimmt Euch aber auch wieder. Ohne sie gäbe es keine Veränderung, keinen Sinn und keine Tat. Stellt Euch eine Welt ohne Zeit vor. Es gäbe kein Vorher und kein Nachher, keine Entwicklung, kein Handeln. Nur ein leeres, bedeutungsloses Dasein. Die Zeit fließt in ihrem Fluss, darin liegt die Macht. Sie ist das Geflecht, das alles zusammenhält, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“
Dragius nahm ein Stück Holz, das von einem Holzbalken des Hauses abgefallen war. Er malte damit in den Sand, der aus den Wänden rieselte und auf den Boden fiel. „Ja, ich kann aber die Zeit anhalten, die Uhr bleibt ja auch mal stehen, wenn ich sie nicht aufziehe, und dann habe ich die Zeit“, sagte Dragius stolz, als hätte er Svardor von seinen Worten abgebracht.
Doch Svardor blieb unbeeindruckt. Er sagte: „Ihr seid töricht, scheint es nicht zu begreifen“, und kämpfte weiter mit der Luft: „Wenn Ihr versucht, die Zeit anzuhalten, zu manipulieren, zurückzudrehen oder vorzustellen, zerstört Ihr ihre natürliche Ordnung. Es ist, als würdet Ihr eine Uhr zurückstellen und dabei die Mechanik zerstören. Ihr verbiegt sie, sie verliert ihre Form, und sie versiegt, sie hört auf zu fließen. Wenn die Zeit stehen bleiben würde, würde sie dennoch weiter bestehen. Sie wäre da, aber ohne Fluss und Bewegung, und ohne ihren Fluss verliert sie ihren Sinn, genau wie eine Quelle, die aufhört zu sprudeln, aber dennoch existiert.“
Dragius sah auf den Boden, auf den er mit dem Stück Holz in den Sand eine Sanduhr zeichnete. „Ihr seid weise, Svardor. Woher wisst Ihr das?“, fragte er. Svardor nahm sein Schwert herunter, er lachte, sah Dragius an und musterte sein Werk. Er kratzte sich am Hinterkopf und sprach langsam: „Nun mein Freund, es ist kein weiser Spruch, der in alten Schriften steht … Er ist etwas, das Ihr überall wiederfindet, in Büchern oder in Filmen. Schaut Euch die Zeitreisenden an. Ihre Geschichten zeigen immer dasselbe: Wer versucht, die Zeit zu beherrschen, verbiegt sie und zerstört sich dabei selbst. Sie ist eine Kraft, die Ihr nicht lenken könnt, nur respektieren.“
Svardor wirkte belustigt und fragte: „Oh, Dragius, hat Euch die Vergangenheit etwa schon eingeholt?“ Dragius sprach, als würde ihn ein Geistesblitz treffen: „Ja, sie hat mich eingeholt. Ich habe oft alte Plätze besucht. Die Erinnerungen blieben, aber es war nicht mehr der Ort, den ich kannte. Es war alles das Alte und dennoch neu. Es ist nicht mehr das Gleiche. Es scheint nicht mehr meine Zeit zu sein, sondern eine andere. Und je öfter ich diese Orte besuche, desto weniger kehre ich dorthin zurück." Er dachte nach und fügte hinzu: „Ich habe oft den Tod mit einer Uhr gesehen. Nur kann ich es nicht deuten.”
„Es scheint der Moment zu sein, in dem ein Teil der Zeit vergeht. Es ist wie der Abschluss eines Abschnitts, eines Augenblicks, der sich in die Weite des Flusses der Zeit auflöst. So wie das Verblassen eines Sterns in der Nacht, der zwar verschwindet, aber Raum für neue Sterne öffnet. In dieser Endlichkeit liegt die wahre Bedeutung des Lebens: Was vergeht, macht Platz für das, was kommen wird. Der Tod ist nicht das Ende der Zeit, sondern nur ein weiterer Moment in einem unaufhörlichen Fluss. Die Vergangenheit ist nie wirklich das, was sie einmal war, wenn sie Euch einholt. Ihr könnt nicht wirklich zurückkehren, denn die Zeit ist weitergegangen. Was Ihr als die Vergangenheit betrachtet, hat sich mit der Gegenwart vermischt und verändert. Die Erinnerungen sind vielleicht noch da, aber sie sind nicht mehr dieselben. Alles hat sich weiterentwickelt. Deshalb bleibt Euch nur der Blick nach vorn, auf das, was noch kommen wird“, sagte Svardor.
„Aber ich bin nicht nur auf der Suche nach Frieden, sondern auch nach meiner Familie“, sagte Dragius verwirrt. Svardor antwortete: „Ihr macht Euch Gedanken, dass es anders sein könnte? Ihr, Dragius, werdet noch eine Zeit erleben, die Ihr Euch gewünscht habt. Aber vergesst nicht, dass es nicht die Zeit sein wird, die Ihr Euch vorgestellt habt. Die Zeit verändert sich, sie wird nie genau so sein, wie Ihr sie Euch ausgemalt habt. Sie trägt mit sich neue Herausforderungen und neue Möglichkeiten, die Ihr Euch nicht immer erwartet habt. Doch das bedeutet nicht, dass sie weniger wert ist. Es ist die Zeit, die Euch auf Eure Reise führt, auch wenn sie anders verläuft, als Ihr dachtet.“
„Ihr, Dragius, werdet auf einen mächtigen Kampf gegen Iknorex vorbereitet“, sprach Svardor majestätisch. „Das Schicksal und die Zeit meinen es gut mit Euch!“ Dragius erstarrte und fragte: „Wie jetzt? Dann war das eben alles ein Irrtum mit der Zeit? Und überhaupt, wie soll das geschehen?“
„Verwechselt die Gegenwart nicht mit der Vergangenheit oder der Zukunft. Die Zeit ist nicht ein Ort, den Ihr einfach betreten könnt. Sie ist ein Fluss, der immer in Bewegung ist. Die Gegenwart ist der Moment, den Ihr lebt, die Vergangenheit ist das, was schon war, und die Zukunft ist das, was noch kommen wird. Mischt sie nicht, sonst verliert Ihr den Sinn des Augenblicks“, antwortete Svardor.
Fragen standen Dragius ins Gesicht geschrieben. Svardor besänftigte ihn und sagte: „Bald werdet Ihr jemand begegnen, der Euch helfen wird. Die Zeit wird nicht gefunden. Sie wird erst geschaffen. Mit jedem Schritt, den Ihr macht, mit jeder Entscheidung, die Ihr trefft, formt Ihr Eure Zeit. Habt Vertrauen, sie wird zu Euch kommen, wenn Ihr bereit seid. Habt Geduld und keine Furcht“, antwortete Svardor.
Nach diesen Worten lösten sich Svardor und die Käuze in Luft auf. Alles wirkte wie eine optische Täuschung. Mit einem Schlag hatte Dragius verstanden, warum Svardor mit seinem Schwert gegen die Luft kämpfte: Es war kein Kampf gegen Gegner, sondern ein Symbol für die Zeit. Für Dragius war die wahre Herausforderung nicht, gegen Svardor zu kämpfen, sondern dessen Wissen und Lehren zu verinnerlichen. Sollte ihm dies nicht gelingen, würde er niemals den Mut finden, um seine Freiheit zu erlangen und die Kälte zu vertreiben, die sich über Caveas gelegt hatte. Doch eine Frage blieb: Warum war Svardor überhaupt in der Klosterruine? Diese Antwort sollte Dragius nie erfahren, denn bevor er Svardor noch fragen konnte, war dieser bereits verschwunden.
Als Dragius das Kloster verließ, erreichte er ein Dorf am Waldrand, verziert mit mittelalterlichen Tierköpfen und Kriegsfiguren. Dort traf er den Anführer der Dorfgemeinschaft, den die Leute Draggen nannten. Niemand konnte ihm widerstehen, wahrscheinlich nicht einmal er selbst. Draggen war etwa so alt wie Dragius. Misstrauisch musterte er Dragius, als ob er ihn durch und durch sehen könnte. „Wer seid Ihr, dass Ihr es wagt, unser Dorf zu betreten?“ fragte er schroff. Dragius wirkte wie angewurzelt, und Draggen spielte mit seinen Augenbrauen. „Ich bin hier, um gegen Iknorex zu kämpfen“, erklärte Dragius.
„Sollen wir ihn einsperren?“, fragte ein Dorfbewohner. „Ich will Euch nicht schaden, ich will Euch helfen“, erwiderte Dragius.
Draggen lachte laut und schüttelte den Kopf. Er klopfte Dragius auf die Schulter und sagte: „Das haben schon viele gesagt – und sind gescheitert. Wir haben schon zu viele verloren. Warum sollten wir Euch trauen?“ „Jeder könnte ein Verräter sein“, sagte Draggen, während er mit Dragius durch das Dorf schritt. Zwischendurch sah Draggen immer wieder Dragius an, und Dragius dachte, er würde in den Kerker geworfen. Denn die Zeit zwischen Freund und Feind war alles andere als durchsichtig. Dragius spiegelte Draggens Gesichtsausdruck wider und sagte: ,,Ich kann Euch nur mein Wort geben. Wenn wir einander nicht vertrauen, werden wir unsere Freiheit nie erlangen.“
Für einen kurzen Moment senkte Draggen den Blick und dachte nach. Er war skeptisch und wandte sich von Dragius ab. Was Dragius nicht wusste, war, dass Vormandor zu Draggen gekommen war und ähnliche Worte sprach wie er. Blind folgten Draggen und sein Dorf den Worten Vormandors. Hinter dieser List stand Iknorex. Er gab Sentarius den Auftrag, seine Spione und Botschafter wie Vormandor loszusenden. Mit Tricks sollten sie Menschen überführen, die bereit waren, für einen Aufstand zu kämpfen. Denen, die Vormandors Worten Glauben schenkten, wurde der Prozess gemacht: Sie wurden verhört, an den Pranger gestellt und ohne sich verteidigen zu können in den Kerker geworfen. Ihre Familien wurden beobachtet und verfolgt. Draggen, der damals maskiert war, konnte jedoch entkommen.
Dragius drehte sich ebenfalls um und sprach seufzend von den Ereignissen im Kloster, von Svardor und seinen Worten; er wusste, dass es eine Zeit war, in der Worte und Taten das Leben zerstören konnten. So dachte auch er, es wäre eine Falle. Und so sprach er: „Ich habe schon zu viel gesagt, aber was habe ich noch zu verlieren? So werde ich mich meinem Schicksal ergeben.“
Doch Draggen horchte auf und sprach unerwartet: „Haltet ein, Dragius! Eure Worte sind so merkwürdig und unfassbar, dass ich sie für bare Münze nehme. Meint Ihr wirklich, das Schicksal sei uns wohlgesonnen?"
Wohlan“, fügte Draggen mit einem zweifelnden Blick hinzu, „zeigt mir den Weg, wenn es Eurer Meinung nach so sein soll!“ Gemeinsam machten sich Dragius und Draggen auf den Weg zurück zum Kloster. Aber das Kloster erreichten sie nicht.
Tief im mystischen Wald, wo das Sonnenlicht kaum die dichten Baumkronen durchdrang und der Wind von uralten Legenden flüsterte, lebten Kreaturen, die wie aus Albträumen entsprungen schienen. An den Rändern des Waldes und in den Tiefen des Tals begegneten Dragius und Draggen seltsamen Wesen. Ihr Anblick war faszinierend und furchteinflößend zugleich. Einer in menschlicher Gestalt wurde Luzifanus der Wächter genannt. In seiner Begleitung waren die Bärenwolfkatzen, Mischwesen aus Bären, Luchse und Katzen. Im Dorf hatten viele von ihnen gehört und erzählten sich, die Kreaturen seien der Teufel, der auf seinen Schultern säße. Niemand wagte sich in seine Nähe, denn die Umgebung war von Dämonen besetzt, die über die Wege des Waldes herrschten.
„Seid gegrüßt“, sagte Luzifanus zu Dragius und Draggen: Der Waldgeist hat mir gesagt, dass ihr hierher kommen werdet. Bleibt eine Weile bei mir. Der Wald ist einsam, voller Gefahren, und ein wenig Geselligkeit wäre mir lieb. Ich werde Euch Schutz bieten. Hier in den Schatten bin ich der Wächter, der Euch vor den Schrecken bewahrt, die in der Dunkelheit lauern. Ich, Luzifanus, und die Bärenwolfkatzen stehen für Territorium, aber auch für Sensibilität, Intuition und Instinkt für unsere Umwelt. Wir sind in der Lage, uns an verschiedene Umgebungen und Bedingungen anzupassen und arbeiten im Rudel.
Dragius und Draggen sahen sich skeptisch an. Sie standen vor der Wahl: Sollten sie das Angebot annehmen oder sich vor den Gefahren in Acht nehmen, die im Dickicht lauerten? Die Frage schwebte wie ein geflüstertes Geheimnis in der Luft. Wer würde am Ende als Retter oder Zerstörer aus diesem dunklen Spiel hervorgehen?
Luzifanus sprach: „Ich werde Euch ausbilden. Alles, was Ihr braucht, um Euch dem mächtigen Kampf zu stellen." Dragius und Draggen nahmen das Angebot an, worauf Luzifanus erwiderte: ,,Die Elemente von Kälte und Wärme sind entscheidend für das Überleben. Ein gesunder Körper unterstützt einen klaren Geist. In schwierigen Zeiten ist kluges Handeln wichtig. Körperliche und geistige Fitness sind entscheidend, um in der Natur und im Kampf zu überleben. Ein weiterer Schlüssel ist die Kommunikation mit der Natur. Tiere zu beobachten und von ihnen zu lernen, ist hilfreich, denn sie leben im Einklang mit ihrer Umgebung – sie unterstützen oder warnen sich gegenseitig."
Und so lernten Dargius und Draggen, Tarnkleidung herzustellen und sich zu tarnen. Sie lernten, Fluchtwege zu planen und einen sicheren Unterschlupf zu finden. Sie legten einen geheimen Garten an, um sich selbst zu versorgen, und ein provisorisches Lager, in dem sie die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen trafen. Draggen und Dragius trainierten hart und gingen an ihre Grenzen. Am Ende des Trainings sagte Luzifanus: „Ihr habt Mut bewiesen und viel gelernt. Nun seid Ihr bereit für den Kampf. Möge der Weg Euch gnädig sein“. Dragius und Draggen dankten Luzifanus und kehrten ins Dorf zurück.
Auf ihrem beschwerlichen Heimweg begegneten Dargius und Draggen dem Magier Pharun fan Wolkenzünder, dessen Ruf weit über die frostigen Grenzen der Stadt hinaus hallte. Pharun, der sich selbst als Lenker der Sterne rühmte, war bekannt für seine Redegewalt, doch seine Worte waren trügerisch wie Wölfe, die durch dichten Nebel jagten. Sein Zauber vermochte es, den Geist zu blenden, doch die Taten, die er versprach, blieben hohl. Die Stadt, die unter seinem Einfluss stand, war in ewiger Kälte erstarrt.
Draggen, der mit den Machenschaften des Magiers vertraut war, wusste wohl um den Schein seiner Versprechungen. Hinter den verheißungsvollen Worten von Freiheit verbargen sich nichts als Rauch und Nebel, die nur in den Köpfen jener lebten, die in seine Illusionen verfielen.
„Seid gegrüßt,“ sprach Pharun, seine Stimme schneidend wie der Winterwind. „Es drang zu meinen Ohren, dass Ihr Luzifanus aufgesucht habt, und nun naht die Freiheit.“
Doch Draggen unterbrach Pharun und sprach: „Große Worte, Pharun! Doch vergebens seid Ihr ein Meister, der mit honigsüßer Rede blendet. Ich kenne Euch wohl, Pharun! Eure Illusionen sind gleich jenen Wölfen, die uns in die Irre führten, und all Eure Versprechungen sind nichts weiter als Rauch, der im Wind verweht, während unsere Stadt im eisigen Griff des Winters verharrt.“
In seinem Zorn fuhr Draggen mit seiner Rede fort: ,,Wir haben versucht, für unsere Freiheit zu streiten, aber unser Aufstand wurde im Schnee erstickt, und die Träume, die wir hegten, sind unter der Last des Frostes zerschlagen. Während wir an Veränderung glaubten, habt Ihr uns nur neue Ketten geschmiedet. Die Fesseln sind enger gezogen, der Winter währt ewig. Unser Kampf, unsere Sehnsucht nach Freiheit – all das ist zerschlagen. Vierzig Mal habe ich Sonne und Mond über dieser erstarrten Stadt aufgehen und wieder untergehen sehen. Und schaut, wo wir stehen: Noch immer gefangen in den Netzen, während Eure Worte wie hungrige Wölfe in der Kälte über uns herfallen.“
Da antwortete Pharun: ,,Höret, oh getreue Gefährten, auf dass ich Euch die Wahrheit künde: der kalte Frost mag uns gleich einem eisernen Mantel umschließen, doch lasset Euch sagen, die Flamme des Widerstands glimmt tief in uns, unbesiegt. Ja, wohl vermag ich die Künste der Rede zu meistern, doch wahrlich, ich bin nicht gekommen, um Eure Sinne mit Trugbildern zu betrügen. Nein, ich stehe hier vor Euch, um die Wahrheit zu enthüllen!“
Die Freiheit, die in den Herzen brennt,
ist kein Traum, der in der Zeit versinkt,
sie lodert wie Feuer, das nach Freiheit verlangt,
und sich aus der Asche der Unterdrückung zwingt.
Die Ketten, die in drückender Knechtschaft halten,
sind wohl bekannt, ebenso der Schmerz, der drückt.
Doch in der finstersten Nacht, wo die Hoffnung vergeht,
wächst der Widerstand, der in den Seelen entzückt.
Draggen klopfte Dargius abermals auf die Schulter, der wie erstarrt vor Pharun stand. „Mein Freund, es ist Zeit aufzuwachen. Wir müssen unser Volk aus dem eisigen Schlummer erwecken, und wahrlich, es ist Zeit zu kämpfen, bevor wir selbst zur Beute der Wölfe werden, die in der ewigen Kälte lauern!“ Dargius war ergriffen von der Flamme des Mutes und der Entschlossenheit, die plötzlich in Draggen loderte.
Begleitet von heulenden Wölfen verschwand Pharun mit Draggens Worten in Nacht und Nebel. Pharun rief: ,,Ihr fürchtet die Wölfe, aber wisst, dass ihr nicht meine Worte fürchten müsst, sondern die schleichende Ergebenheit, die sich unserer Seelen bemächtigt. Der Winter mag lang und bitter sein, aber, meine Brüder und Schwestern, er wird zu Ende gehen.“
Im Dorf erzählten Dragius und Draggen ihre Erlebnisse. Die Hoffnung der Leute wuchs und sie formierten sich in ihren Rüstungen und nahmen alles, was sie finden konnten, Schwerter, Mistgabeln und selbst angefertigte Schilde. Mutig stellten sie sich Iknorex zum Kampf.
In den düsteren Wäldern von Caveas, wo die Schatten der Bäume wie alte Geister wirkten, versammelten sich die Widerstandskämpfer unter dem Banner des Mutes, entschlossen, gegen die tyrannische Herrschaft von Iknorex zu kämpfen. Draggen, der die rauen Seiten des Kampfes kannte, trat vor und blickte in die Gesichter seiner Gefolgsleute, die jeder eine Geschichte mitbrachten, die die Klingen ihrer Schwerter und die Entschlossenheit in ihren Herzen nährte. Sie waren die Flamme des Widerstands und zogen in die Nacht, um die Halle der Nachtgeister zu erreichen.
Doch Iknorex, ein Meister der Täuschung, kannte ihre Pläne und ließ seine Krieger aus den Schatten hervorkommen, um den Aufstand im Keim zu ersticken. Die erste Konfrontation fand in einer alten, verfallenen Burgruine statt, die auf einem Hügel aus winzigen Steinen thronte und von der Zeit sowie dem Vergessen gezeichnet war. Hier standen die Widerstandskämpfer zusammen, bereit, ihre Freiheit zu verteidigen. Als die Halle der Nachtgeister angriffen, entbrannte ein Kampf voller Zorn und Leidenschaft. Dragius und Draggen kämpften Seite an Seite, während sie die finsteren Kreaturen zurückdrängten. Der Klang von Metall auf Metall hallte durch die Nacht, vermischt mit den Schreien der Kämpfer und dem Flüstern der Geister, die über das Schlachtfeld schwebten.
Mit einem kraftvollen Schlag durchbrach Dragius die Reihen der Nachtgeister und stand dem finsteren Iknorex gegenüber. Der erbitterte Kampf zwischen ihnen war ein Aufeinandertreffen von Licht und Dunkelheit. Schließlich gelang es Dragius, Draggen und seinem Gefolge, Iknorex zu besiegen. Die Dunkelheit begann sich zurückzuziehen, und die Halle der Nachtgeister zerfiel.
Eure Schatten ersticken unsere Träume,
doch sie kämpfen stark, als wären sie Flammen.
Die Dunkelheit umgibt sie, doch sie sind bereit,
unsere Schwerter blitzen, unsere Herzen sind rein.
In der Stille der Nacht, wo der Mut erblüht,
und jeder von uns für die Freiheit glüht.
Gemeinsam im Sturm, wenn die Stürme toben,
wird das Licht der Hoffnung uns weiter erheben.
Und kämpfe ich allein, sind wir stets zu zweit,
in diesem Kampf für Freiheit stehen sie vereint.
Mit Herz und Verstand, stark und voller Mut,
jeder Schritt nach vorn bringt uns neuen Schwung.
Die Freiheit, die lange verwehrt geblieben war,
wurde jetzt greifbar, ein strahlender Tag ward klar.
Wir folgen dem Ruf, der in uns erwacht,
gemeinsam erleuchtet, die Dunkelheit lacht.
Die Kämpfer haben gekämpft und die Nacht besiegt,
vereint in ihrem Ziel, das Licht siegt.
Mit jedem Schritt näher, die Ketten zerbrochen,
in der Einheit der Stimmen, die Freiheit gesprochen.
Damit verschwand die Dunkelheit, die über Caveas lag. In den folgenden Tagen versammelten sich die Überlebenden von Caveas, um ihren Sieg zu feiern. Mit dem Sturz des dunklen Fürsten kehrte die Hoffnung ins Land zurück. Die Landschaften blühten wieder auf und das Volk vereinte sich unter einem neuen Banner des Friedens. Heute erinnert nur das Rauschen des Baches aus der Waldschlucht an die Schlacht.
Hast du dich schon gefragt, warum Svardor der Schwertkämpfer in einem Kloster lebt und Luzifanus in den Bergen wohnt? Es waren einmal zwei Städte, Langoberg und Suebenfels, die in einem abgeschiedenen Tal lagen und seit Generationen in Frieden lebten. Langoberg war bekannt für fröhliche Feste und Handwerkskünste, während Suebenfels für friedliche Handelsbeziehungen und weise Führung geschätzt wurde. Doch im Schatten dieser Idylle keimte eine Unterwelt, deren Ziel es war, das harmonische Leben in den Städten zu zerstören.
Mysteriöse Ereignisse stürzten die Städte in einen Strudel aus Intrigen und Zwietracht. Als die Konflikte eskalierten und der Frieden zerbrach, sahen sich Langoberg und Suebenfels gezwungen, einen Pakt mit dem Dämon Vulkhallor, dem Anführer der Dämonen, zu schließen. Er war ein Wesen, dessen wahre Natur, ob gut oder böse, sich noch zeigen sollte. Die Städte wussten nur, dass der Pakt eine mächtige, aber gefährliche Lösung versprach.
Langoberg und Suebenfels gaben sich der Hoffnung hin, dass der Pakt ein Bündnis des Wohlstands und des Friedens bringen könnte. Doch der geschlossene Pakt wurde immer wieder gebrochen. Und so erschien abermals der Dämon Vulkhallor mit seinem Heer, den Wallharo. Frieden, Verrat und Krieg bildeten einen unaufhörlichen Kreislauf, der die Städte immer tiefer in die Dunkelheit zog. Immer wieder wurde alles aufgebaut, nur um erneut niederzubrennen. Abgebrannt und ausgebrannt versanken die einst blühenden Orte in der Asche ihrer Zerstörung.
Die Hoffnung erlosch, als der ewige Fluch des Vulkhallor schließlich auch den letzten Funken Leben auslöschte. Und so begann das düstere Abenteuer, in dem das Schicksal der beiden Städte auf der Kippe stand – ein Kampf gegen einen immerwährenden Fluch. Aber auch Vulkhallor barg eine Geschichte, von der die Städte nichts wissen wollten oder nicht akzeptieren konnten. Ein dunkles, unerforschtes Geheimnis lag über dem Pakt – eine Wahrheit, die jenseits ihrer Vorstellungskraft lag und die sie nicht zu erkennen wagten.
Vulkhallor sprach: „Ihr habt mich gerufen,
wolltet den Frieden, doch konntet ihn trüben.
Ich kam, um zu schützen, was Ihr je ersehnt,
doch einer von Euch hat den Frieden verwehrt.
Ihr selbst habt die Schlacht immer neu entfacht,
nicht ich, der nur wacht, dass der Pakt nicht zerbricht.
Euer Misstrauen, Euer Verrat,
schmiedeten Dolch, der das Dunkel gebart.
Der Wille von Euch, der Kreislauf von Krieg,
entfacht immer wieder des Hasses Intrig.
Der Dolch, der die Welt in Schatten taucht,
spiegelt nur Unruhe, die aus Euch raucht.
Ihr riefet nach mir, doch es war Euer Wesen,
das Euch am Ende ins Verderben ließ lesen.
Der Pakt, den Ihr schlosst, einst an der Tür,
des Hauses Vulkhalis, er blieb Euch nicht wie ein Tier.
Dort hing er für alle, die Frieden ersehnten,
festgenagelt mit Dolch, um Streit zu erwähnen.
Doch einer von Euch zog den Dolch aus dem Holz,
zerstörte das Zeichen, das einst den Frieden holt.
Ihr zerrißt den Pakt, lasst ihn Papier,
vom Wind der Zwietracht verweht, ohne Zier.
Der Dolch, der einst an der Tür steckte,
wurde zum Zeichen, das Euch entdeckte.
So begann der Kreislauf, aus Misstrauen und Leid,
Krieg und Zerstörung, die nie enden weit.
Den Frieden, den ihr nie wirklich verstand,
denn Eure Hände griffen stets zur Waffe in der Hand."
Nach diesen Worten verschwand Vulkhallor auf unerklärliche Weise. Auch Langoberg und Suebenfels waren wie vom Erdboden verschluckt. Die Leute verloren ihre Städte in der ewigen Nacht eines endlosen Krieges. Alle fanden sich in einer verwüsteten Welt wieder, durchbrochen vom Kreislauf des Verrats. Was einst blühte, ward zum leeren Echo der Zerstörung, in dem einzig die bedrückende Stille des endgültigen Verlöschens nachklang.
Einige wenige durchquerten die verwaisten Gassen. Während sie vorsichtig durch die leeren Straßen schritten, erklangen warnende Stimmen. Es waren Weise aus dem Volk der Valghander, von denen nur aus alten Erzählungen Kunde war.
„Geht und flieht, solange Ihr noch könnt! Hier erwartet Euch nichts als der Schwarze Tod!“
Einige unter den Leuten traten näher heran und fragten: „Ihr sagt uns, wir sollen die Stadt verlassen – doch warum bleibt Ihr selbst hier? Was wisst Ihr, das wir nicht wissen? Nennt Ihr Euch Weise und glaubt, Ihr wisset, was das Beste für andere sei? Doch wie weise ist es, an einem Ort des Verderbens zu verharren? Wer hat Euch berufen, andere zu warnen?“
Die Weisen schwiegen. Doch die Leute ließen nicht ab. Erneut wandten sie sich an die Valghander:„Sucht Ihr hier Buße oder Erlösung, indem Ihr verweilt? Glaubt Ihr, die Städte könnten Euch noch etwas lehren? Ihr scheint um ein Wissen zu wissen, das Ihr uns nicht offenbart. Was hält Euch wirklich an diesem Ort? Ein Geheimnis? Eine Prophezeiung? Und warum seid Ihr so seltsam getarnt?“
Die Weisen waren verhüllt, wie auch die Häuser und Straßen in ein fremdartiges Antlitz getaucht schienen. Sie blickten in die Ferne, als erinnerten sie sich an längst Vergangenes. „Es gibt eine Prophezeiung“, hob einer der Weisen an, „die spricht davon, dass wir Valghander an diesem Ort verweilen müssen, um künftige Ereignisse abzuwenden. Unsere Anwesenheit ist Teil eines größeren Planes.“
„Ein größerer Plan?“, fragten die Leute. Ein anderer der Weisen nickte.
„Wir Valghander nutzen die Stadt als eine Art Quarantäne. Wir verweilen hier, lassen niemanden ein, um die Ausbreitung des Schwarzen Todes zu verhindern. Gegen dessen Verderben sind wir immun.“
„Unsere Tarnungen sind mehr, viel mehr“, sprach ein dritter und verstummte sogleich wieder. Die Leute blickten einander fragend an. „Die Tarnungen schützen uns. Sie machen uns unsichtbar. Wir werden eins mit der Natur und den alten Gemäuern, die uns umgeben.“
Wieder folgte ein Moment des Schweigens, ehe ein weiterer sprach: „Wir passen uns dem Umfeld an. Wir sind ein Schleier, gehüllt in Schatten, schwer zu erkennen für jene, die uns schaden wollen. Unsere Tarnung ist ein Schutzschild – ein Mittel, um zu bewahren, dass die Geschichte weiterbesteht.“
Da brachen die letzten von Langoberg und Suebenfels auf. Noch einmal blickten sie zurück auf die verlorenen Städte. Was einst Orte des Lebens gewesen, war nun nur noch Mauerwerk, das wie Statuen ragte, überwachsen von Moos, vom Licht der Sonne und des Mondes bestrahlt.
Der Abschied war notwendig, um Platz für Neues zu schaffen. Die Erinnerungen und Erfahrungen prägten sie, begleiteten sie. Es war kein Verlust – es war der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Gebranntmarkt vom Feuer flohen sie in die Berge, wo sie prächtige Burgen errichteten – eine gewaltiger als die andere. So entstanden neue Zivilisationen: die Kalthäre und die Surthare.
Ihre Welten waren nur durch unwegsames Gelände zu erreichen, in dem eisige Winde wehten. Sie wurden von einem mächtigen Wesen bewacht, das weder Bock noch Wolf, Falke oder Drache war, sondern einem Wesen aus einer anderen Zeit glich. Es war ein Dämon, vielleicht auch ein Wesen mit Flügeln, das einem Fuchs oder Luchs ähnelte und Fährten aufspüren sowie kleinste Bewegungen wahrnehmen konnte. Möglicherweise war er auch ein Begleiter des Waldgeistes oder gar der Waldgeist selbst in verwandelter Gestalt. Sein Name war Falkwin. Er wachte über die Zufluchtsorte, war ein mächtiger Hüter mit tiefem Wissen – ein Zeuge längst vergangener Zeiten.
Hier sollten nun alle in friedlicher Gemeinschaft leben. Inmitten rauen Klimas schufen sie eine Gesellschaft, getragen vom Zusammenhalt. Doch auch diese Zivilisationen gingen eines Tages zugrunde. Denn obwohl die Welt aus Eisburgen bestand und Schneestürme tobten, fanden die Kalthäre und Surthare Wege, den Pakt des Friedens zu brechen – und zerstörten ihre eigenen Burgen.
Da erschien Falkwin. Er sprach, er komme im Auftrag des Waldgeistes, um einen Pakt zu schließen, der die Zwietracht beenden solle.
Die Kalthäre und Surthare wurden in Fabelwesen und Mischwesen verwandelt, dazu bestimmt, als Wächter über die Wälder zu herrschen. Nur wenn sie wahren Frieden fänden, sollten sie erlöst werden und wieder Menschen sein. Svardor war ein Überlebender der Surthare, Luzifanus ein Kalthär. Sie wurden verschont und in die Freiheit entlassen, denn sie waren keine Anführer, sondern Vermittler – Schlichter in den Auseinandersetzungen. Gegensätze wie Feuer und Wasser, Stille und Sturm – doch im Gleichgewicht. Ihre Aufgaben und Prüfungen, vom Waldgeist auferlegt, sollten ihren Lebensweg bestimmen.
Nach all den Erlebnissen und Kämpfen mag Dragius zwar verwundet gewesen sein, aber er lebte ein freies Leben und kämpfte weiter für die Einheit seiner Familie, aber er musste auch feststellen, dass dies ein langer Weg war. Trotz der Legenden, die sich um Dragius ranken, war er nie allein. Denn immer an seiner Seite war Felexes, sein treuer Begleiter, ein Zauberwesen und Formwandler, mal Kater, mal Luchs. Er schien alles zu wissen, was sich in den Schatten der Welt verbarg und führte Dragius oft zu unerwarteten Begegnungen.
Eines Tages ging Felexes auf Dragius zu. Er schien etwas zu spüren. Eine Veränderung lag in der Luft, ein Portal in eine andere Welt wartete auf ihn. „Kommt, Dragius, ich habe von Eurer Familie gehört, etwas Großes erwartet Euch“, sagte Felexes. Dragius folgte ihm, denn er wusste, dass Felexes’ Instinkte ihn nie täuschten. Sie verschwanden durch ein farbenfrohes, leuchtendes Portal, das sich in Dragius' Wohnzimmer öffnete. Außer der Dunkelheit und einem Lichtstreifen, der sie begleitete, war nichts zu sehen. Dort angekommen, fanden sie sich in einer magischen Welt wieder, in der die Tiere sprechen konnten und sich wie Menschen mit ungeahnten Zauberkräften verhielten.
Auf ihren Weg begegneten sie zwei Bären.
„Ich bin Brumanus, niemand wird diesen Ort ohne Prüfung durchqueren“, brüllte er, zog sein Schwert und rüstete sich zum Kampf. Felexes wich Dragius nicht von der Seite, er war sein unsichtbares Schwert und Schild. Dragius duckte sich, sprang und wich den wuchtigen Schlägen des Bären aus, während er seinerseits Hiebe austeilte.
Es war ein Kräftemessen an Mut und Kraft. Doch als der Kampf seinen Höhepunkt erreichte, hielt Brumanus plötzlich inne. „Genug!“ rief der weiße Bär. „Euer Mut ist bewundernswert, Fremder. Wir erkennen in Euch nicht nur einen Kämpfer, sondern auch einen Suchenden. Geht nun weiter, aber wisst, dass wir Euch immer im Auge behalten werden. Ihr werdet uns wieder begegnen.“
Erschöpft, aber unerschrocken setzten Dragius und Felexes ihre Reise fort. Felexes führte ihn zu einer alten Hütte, die tief im Dickicht des Waldes versteckt lag. Dort trafen sie auf einen Zauberer, der sie willkommen hieß. Allerdings war er kein Zauberer in Menschengestalt mit Bart, Brille, Hut und Zauberstab, sondern ein Wolf in Sportanzug.
„Ich bin Wolfrik“, sagte er. Dragius wurde das Gefühl nicht los, dass sich Wolfrik wie der Schwertkämpfer Svardor und der Waldsiedler Luzifanus benahm; er sprach sogar wie Pharun fan Wolkenzünder. Doch er war zweifelsfrei ein Wolf, allerdings auf zwei Beinen, und seine Pfoten waren wie Hände.
Der Waldgeist wies Wolfrik zuvor an, Dragius zu prüfen. Seine Aufgabe war es, Verwirrung zu stiften, Dragius herauszufordern und ihn nicht mit ruhigen Dialogen oder klaren Einsichten zu durchdringen. Seltsame Worte erhielt Wolfrik:
Gebt einen Ratschlag, seid klug und weise,
doch bleibt oft unklar, was es wirklich heißt.
Ein Vorschlag hier, ein Nachschlag dort,
nicht jeder Schlag führt zum richtigen Ort.
Doch Schläge im Spiel, sie können erfreuen,
mit Takt und Geschick, das Herz kann sich freuen.
So spielt mit Bedacht, lasst die Worte tanzen,
im Spiel der Gedanken, da gibt’s viele Chancen.
„Ein Junge im Wald, voller Mut und Licht“, sagte Wolfrik ernst und nachdenklich. „Ihr ruht Euch oft am Fluss aus und geht durch die Portale in fremde Welten. Ich habe Eure Reise erwartet.“ Dragius fragte: „Wer seid Ihr, dass Ihr so viel über mich wisst?“ Wolfrik antwortete: „Ich bin der Hüter der Geheimnisse und bewahre das Wissen der Portale, die Zeit und Raum verbinden. Eure Reise ist kein Zufall, sondern eine Prüfung, die Euch zum Kern Eures Wesens führen soll.“ Wolfrik sprach in Rätseln, doch Dragius spürte, dass seine Worte eine tiefere Bedeutung hatten. „Was ist der Zweck dieser Prüfungen?“, fragte Dragius.
Wolfrik zeigte auf einen Sportplatz hinter seiner Hütte. Er nahm einen Ball, dribbelte damit und warf ihn durch das Basketballnetz. Er lief mehrere Runden um Dragius und Felexes und wiederholte sein Spiel. Dann legte er den Ball beiseite. Er boxte mit seinen Pfoten durch die Luft, sprang hin und her, auf und ab und richtete sich wieder auf. Er schwitzte und hechelte.
,,Kommt wir spielen Tischtennis", rief Wolfrik. Felexes saß auf der Bank und spielte Jump ’n’ Run auf seiner Konsole. „Felexes, spielt Ihr nicht mit?“, fragte Wolfrik. „Es ist Dragius, nicht ich, der Prüfungen bestehen soll. Ich bin nur sein Schutzpatron. Zwei gegen einen, das verschafft Dragius einen Vorteil. Ich würde den Verlauf des Abenteuers ändern, wenn ich mitwirke. Die Begegnung mit Brumanus war etwas anderes“, sagte Felexes. „Ja“, sagte Wolfrik. „Ich kenne Eure Wege, der Waldgeist berichtete davon.“
Dragius und Wolfrik spielten gerade Tischtennis, als nach einer Weile der Ball plötzlich verschwand. Da sagte Wolfrik: „Der Ball ist im Aus.“ Dragius runzelte die Stirn, denn der Ball war nirgends zu sehen. Felexes war vertieft in sein Spiel, zumindest wirkte es so, doch er war wach und bekam alles mit. Während Dragius und Wolfrik den Ball suchten, fuhr Wolfrik fort: „Was macht Ihr, wenn Euch Hindernisse oder Widerstände ereilen? Auch Euer Weg, der Überraschungen bereithält, hat ein Ziel, egal ob Unsinn oder Irrsinn, alles hat einen Sinn“, sagte Wolfrik. Seine Worte klangen mal laut und mal leise, weil er umherlief.
Dragius sah unter dem Tisch nach und sprach nachdenklich, als er dabei den Ball suchte: „Ähm, es gibt Dinge, für die es sich zu kämpfen lohnt, und ähm… andere, auf die ich verzichten kann. Manche Dinge ändern sich mit der Zeit. Alles ist unbeständig oder es kommt ungeahnt – dennoch auch so wie das Glück. Aber warum kämpfen, wenn mir Hindernisse und Widerstände begegnen? Sie geben mir eine Bedeutung. Der Kampf für Leben und Freiheit ist keine Frage, denn alles, was dahintersteckt, kann nicht gewollt sein, da sind andere Gründe oder Mächte das Motiv“, sagte er.
Beide richteten sich wieder auf. Dragius war gefasst und fragte: „Wolfrik, was meint Ihr, könnten Menschen, die nichts anderes kennen, außer der Harmonie, die sie umgibt, weil sie nur in geschlossenen Räumen leben, in der Alltagswelt überleben?“ Doch Wolfrik schwieg, vielmehr überlegte er, denn er wusste, dass Dragius einige Erfahrungen gesammelt hatte. Er sagte: „Dragius, Ihr seid weiser als ein Buch oder was Euch durch Lehren jemals vermittelt werden könnte, denn Ihr lernt durch Erfahrungen und Erlebnisse.“
„Wo zum Kuckuck ist der Tischtennisball abgeblieben?“, fragte Wolfrik schelmisch und zog einen Tennisball aus seiner Tasche. „Spiel, Satz und Sieg! Wir brauchen mehr Power. Nehmt den Tennisschläger, wir spielen Tennis.“ Nach ein paar Minuten fragte Wolfrik: „Ha, und sonst, Ihr seid wohl noch angeschlagen wegen Eurer Knechtschaft?“ Erwartungsvoll hoffte er, dass Dragius ihm nun über Elend und Sorge erzählte. Doch es sollte alles ganz anders kommen.
„Uuf“, rief Dragius. „Ich hätte mich fügen und unterordnen können. Aber wisst Ihr, Wolfrik, es ist wie der Fuchs, der in einem kleinen Käfig seine Runden läuft, weil er nach Freiheit strebt und keinen Ausgang findet“, erwiderte Dragius schnaufend. „Ich kenne Eure Geschichte, vergesst nicht, Ihr reist durch ein magisches Portal. Sagt mir selbst: Wie seid Ihr zurechtgekommen?“, sprach Wolfrik.
„Uff, Uurf“, klang es im Wechsel auf dem Spielfeld. „Meine Verbündeten aus der Zeit, als ich in der Knechtschaft war, haben mich dazu bewogen, anders zu denken. Sie waren fürsorglich und haben mir den Weg gewiesen. Es waren ihre Worte, ihre ernste Mimik und Gestik, die mich erleuchtet haben. Längst habe ich meinen Wert und meine Fähigkeiten erkannt, unabhängig davon, was mir widerfährt oder vorgekaut wird. Die Taten und Worte meiner Verbündeten waren so mächtig, dass meine Burg standhält. Ich weiß, meine Burg zu schützen, mich mit Gegnern zu verbünden, doch wenn dies nicht gelingt, ist das Interesse nicht vorhanden, und so finde ich Mittel und Wege weiterzukommen. Ich weiß, dass auf mich wertvollere Ereignisse warten, als zuvor.“
„Also haben Widerstände oder Hindernisse einen Sinn? Zeigen sie Euch, dass Ihr bereits auf einem anderen Weg seid, nur noch nicht sicher wart, ob es der richtige ist?“, fragte Wolfrik. „Genau“, erwiderte Dragius. „Das gibt mir Bestätigung und Frieden. Und manchmal erscheinen meine Verbündeten wie Botschafter im Auftrag von Ahnengeistern, wenn ich mich erneut in einer solchen Situation befinde“, antwortete Dragius.
Wolfrik warf seinen Tennisschläger weg und kam auf Dragius zu. Die Situation wirkte gefährlich. Felexes stand auf. „Botschafter, Ahnen, Geister, was redet Ihr da? So etwas gibt es doch nicht!“, sagte Wolfrik spöttisch. Da stellte Felexes sich vor Wolfrik, der versuchte auszuweichen, aber Felexes stand immer vor ihm. „Ich, als Katze, Seelenwächter und Traumführer, kann sagen, dass Dragius recht hat. Wie könnte er heute hier sein, wenn nicht ein Teil seiner Ahnen in ihm wäre?“ Wolfrik lachte und sagte: „Es war ein Test, um die Lernbereitschaft und Standhaftigkeit zu prüfen.“
Felexes nahm zwei gespreizte Finger, wie ein Victory-Zeichen, führte sie zu seinen Augen und zeigte dann damit auf Wolfrik, was so viel bedeutete: „Ich behalte Euch im Auge.“ Felexes setzte sich wieder auf die Bank. Mit einem Schnurren spielte er weiter mit seiner Konsole.
Mit einem Mal trat eine kurze Stille ein. Wolfrik sollte Dragius auch provozieren und mit Wiederholungsfragen aus der Reserve locken. Er setzte Kopfhörer auf und zog seine Kapuze über den Kopf. Er war kaum zu erkennen, und es wirkte so, als höre er Musik. ‚Etwas unhöflich‘, dachte Dragius. Doch Wolfrik nahm alles wahr. Die Musik, die Wolfrik hörte, waren Dragius’ verschlüsselte Botschaften, die es zu entschlüsseln galt. Schließlich sprach er: „Wir spielen noch eine Runde Basketball.“
Während sie spielten, kam Dragius ein Einfall: „Nun, Ihr könnt es auch aus einer anderen Perspektive betrachten, Wolfrik. Der Bär mit seinen Eigenschaften ist ein Sinnbild meiner Region. Und ja, ich denke, es ist so wie bei einem Bären: einst ein freilebendes Tier, dann gejagt, dem Zirkus oder Marktfest präsentiert, später wieder in die Wildnis entlassen – doch erneut von den Menschen vertrieben oder gejagt, weil der Bär sich erst anpassen musste. Dafür blieb weder Zeit noch die Möglichkeit.
Da gibt es jede Menge Hindernisse und Widerstände, und selten optimale Ideen, um Abhilfe zu schaffen. Und so meine ich, dass es Zuversicht, Motivation und Verbündete brauchte – so wie die Hilfe von Draggen, Svardor, Luzifanus und auch Pharun fan Wolkenzünder – um im Kampf gegen Inknorex zu bestehen. Draggen und ich hatten viel bei Luzifanus gelernt, aber Pharun fan Wolkenzünder, mit seinen Illusionen, war der Zündstoff, den es brauchte, um Inknorex zu besiegen.“
,,Interessant! Sagt mal, kennt ihr Elefanten? Sie sind wahre Meister“, sagte Wolfrik. „Ja, fürwahr“, erwiderte Dragius. „Ich mag Elefanten, weil sie mich an Mammute erinnern und meine nordischen Wurzeln in mir wecken. Sie haben eine dicke Haut, jede Menge Kraft und Ausdauer. Es sind bewundernswerte Tiere. Ich kannte einen Elefanten in Gefangenschaft, der so lange mitwirkte, wie es ihm gefiel oder er es sich zumutete. Jeden Tag wurde er dressiert, doch in ihm schlummerte ein Vulkan. Eines Tages stellte er sich gegen den Willen seiner Obhut und zeigte seine wahre Macht. Das Urteil, das dem Elefanten widerfuhr, war nicht seine Schuld; hier war ein Kräftemessen am Werk. Das zeigte, dass es nicht rational, sondern irrational zugeht, wie im wirklichen Leben. Denn so wie das Echo im Tal widerhallt, so war auch die Beziehung zwischen Mensch und Elefant."
Nach diesen letzten Worten beendete Wolfrik das Spiel. „Ihr habt Eure Prüfung bestanden und seid bereit für den nächsten Weg“, sagte er und fügte in seiner Rätselsprache hinzu:
Ketten der Knechtschaft, ein Ultimatum droht,
wer sie einmal sprengt, fragt nie mehr nach Gebot.
Die Freiheit ruft, das Ziel ist nah,
Hindernisse lauern – mal Sinn, mal Gefahr.
Irrsinn wird Sinn, der den Mut belohnt,
wie Wind, der die Segel mit Stärke bewohnt.
Glück zieht heran, durch Sturm und Geleit,
wer frei sein will, der kämpft – ist bereit.
Dragius und Felexes machten sich auf, während Wolfrik sie zu einem Portal begleitete, das in einem blauen Licht pulsierte. „Geht durch dieses Portal und Ihr werdet etwas begegnen, das Euren Geist und Eure Seele herausfordern wird.“
Nachdem Dragius und Felexis das Portal durchschritten hatten, fanden sie sich in einer tiefen, dunklen Höhle wieder. Dort wartete Brumanus, der schwarze Bär, diesmal ohne seine Waffen. In seiner riesigen Pranke hielt er stattdessen ein kleines, flackerndes Licht.
„Ihr habt gekämpft und überlebt, aber jetzt müsst ihr das Licht in der Dunkelheit erkennen“, sagte Brumanus mit donnernder Stimme. „Nicht alles, was dunkel ist, ist böse, und nicht alles, was hell scheint, ist gut. Dieses Licht wird Euch führen, wenn Ihr den Mut habt, ihm zu folgen. Dragius sah das Licht und spürte, wie es ihn im Innersten berührte. Behutsam nahm er es entgegen, und augenblicklich war die Höhle in ein warmes, einladendes Licht getaucht.
,,Danke, Brumanus. Ich werde dieses Licht in Ehren halten.“
Brumanus sprach: „Dragius, Ihr werdet zu einer weiten Reise aufbrechen, deren Ziel euch noch verborgen ist. Tag und Nacht, wenn die Winde über das Meer wehen, die Schiffe über die Wellen gleiten, die Möwen schreien, die Wellen gegen die Klippen schlagen und brechen, wird euch ein mächtiger Begleiter zur Seite stehen, der weiße Bär Brumanos. Seid gewiss: Das Meer wird rau und feindselig erscheinen, und dunkle Gestalten auf fernen Schiffen werden Euch entdecken und versuchen, Euch in die Irre zu führen. Doch Brumanos wird an Eurer Seite sein. Mit einem tiefen Brummen, das wie eine Beschwörung klingt, wählt er seine Worte mit Bedacht und führt Euch sicher ans Ufer. Er wird Euch beweisen, dass Gegner auch stille Mentoren sind, die Euch die Kraft geben, mit dem Gegenwind im Segelboot vorwärtszukommen.“
,,Aber nicht nur vermeintliche Feinde erwarten Euch. Gesandte aus fernen Ländern werden Euch begegnen. Mit überzeugender Miene werden sie Euch ihre Botschaften überbringen. Sie werden Euch Fragen stellen, und Ihr werdet sie für Eure Freunde halten. Doch die Boten wissen mehr, als sie zugeben, und verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Denkt daran: Es sind Wegweiser – doch wie Leuchttürme ohne Licht, die Euch zum Denken zwingen. Brumanos wird Euch stets mit Rat und Tat zur Seite stehen. Auf jeder Etappe der Reise wird er Euch helfen, den Kontakt zu Eurer Familie wiederherzustellen, Stück für Stück, Schritt für Schritt. Es ist eine Reise der Wiederentdeckung, eine Suche nach Verständnis, die Euch nicht nur an fremde Orte, sondern auch tief in Eure eigene Vergangenheit führt. Brumanos, der Hüter alter Geheimnisse, wird Euch sicher durch die Wirren von Wind und Wellen, durch Dunkelheit und Licht führen. Und wenn Ihr schließlich am Ziel Eurer Reise angekommen seid, werdet Ihr wissen, wer Ihr seid – und was Eure Bestimmung ist.“
Bald darauf vereinte Brumanos Dragius mit seiner Familie. Große Freude erfüllte die Herzen, und viele Feste wurden gefeiert, an denen neben Felixes auch Brumanos teilnahm. „Dragius“, sprach Brumanos, „meine Aufgaben sind erfüllt; ich werde nun meine Heimkehr antreten.“ Dragius, Felixes und die Familie verabschiedeten sich feierlich. „Geht Euren sicheren Weg und habt Dank für alles. Möge das Wohlgefallen des Schicksals Euch stets hold sein“, sprachen sie sich gegenseitig zu. Und so begab sich Brumanos auf seine Heimkehr in das Land seiner Väter. Doch die Zeit hatte auch ihre Spuren hinterlassen; was vertraut war, wurde fremd, und was fremd war, wurde vertraut.
Da erschien der Kater Demonix, der Tänzer der Nacht, und offenbarte ihm eine wichtige Wahrheit. „Dragius“, sprach er, „die Prophezeiung, die Euch einst Verheißung bringen sollte, war nicht die Eure, sondern eine fremde. Ihr, mein Freund, mögt durch die Dunkelheit gegangen sein, aber die Schatten, die einst auf Euch lagen, waren auch Lichtweiser für Euer Überleben.“
Mit Demonix entwichen auch Schatten, die Dragius nicht sah. Denn Sentarius und Vormandor aus der Vorgeschichte waren Höllenhunde. Während Vormandor mit seinen Wortspielen Geschichten erfand, drehte Sentarius sie so zurecht, dass sie zu einer Realität wurden. Aber die Hufe, die geschmiedet wurden, kamen durch Lilythra. Sie war ein Dämon der Halle der Nachtgeister und eine Verführerin, die Neugeborene und schwangere Frauen bedrohte. So entstanden am Ende Geschichten unter der Knechtschaft und dem Zirkel der Weisen, die immer wieder hin- und hergereicht wurden. Dragius, der einst noch ein Wurm war, wurde wie der Schwarze Peter ausgespielt. Seine Vergangenheit wurde ihm immer wieder anders erzählt. Was Wahrheit und Täuschung war, wusste niemand mehr.
Plötzlich reichte Demonix Dragius alte Schriften. Er sagte: „Man hat Euch eine Herkunft und ein Leben angedichtet, die nicht Euch galten. Es ist leicht, einem Wurm etwas zu erzählen, woran er glaubt, damit er keine Fragen stellt. Partegor, der Schreiber, so wie es heißt, hat nie existiert. Sentarius, Vormandor und vor allem die Nachtgeister waren Alleinherrscher. Nicht nur Euch vermochten sie zu kennen, sondern sie wussten auch mehr, als der Zirkel der Weisen selbst. Sie hätten nie einen Schreiber für diese Sitzung zugelassen, allenfalls als Marionette. Doch ich habe Euch stets beobachtet und kenne Euer Leben und Eure Herkunft. Diese Schriften habe ich im Verborgenen gefunden und an mich gebracht. So nehmt diese Schriften, und Ihr werdet wissen, wer Ihr seid. Ihr werdet das Spiel des Schwarzen Peters durchschauen.“
Demonix’ Körper begann zu flackern und sich zu verwandeln. Aus dem Kater wurde ein schwarzer Vogel. Er breitete seine Flügel aus, als wolle er den Himmel umarmen. Wie im Schatten des Feuers verschwand Demonix. Dragius, seine Familie und Felexes fanden wieder Fuß. Sie entdeckten ihre Heimat neu und waren bereit für neue Abenteuer.
© 2024 - 2025 renemar.ch
Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen
Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.